Am Anfang standen drei Worte: «Wir schaffen das», sagte Angela Merkel (61) im August 2015. Es klang selbstbewusst, beruhigend, zuversichtlich. Doch die Worte der Deutschen Kanzlerin sind verpufft. Die Flüchtlingsfrage spaltet das Land.
1,1 Millionen Menschen haben im letzten Jahr in Deutschland Asyl beantragt, allein im Januar 2016 kamen fast 100000 hinzu. Sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln haben das Land erschüttert. Die fremdenfeindliche Bürgerbewegung Pegida mobilisiert Millionen. Die rechtskonservative Partei Alternative für Deutschland (AfD) bekäme bei den nächsten Wahlen elf Prozent der Stimmen, sechs Prozent mehr als die FDP und ebenso viel wie die Grünen.
AfD-Frontfrau Frauke Petry (40) nutzt die Bühne für populistische Provokationen. Grenzpolizisten müssten «notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen», forderte sie in der Flüchtlingsfrage. Jeder vierte Deutsche stimmte ihr zu.
Es sind Chaoswochen in Deutschland. In der Flut von öffentlichen Kundgebungen, TV-Talks und Debatten fallen Sätze, die noch vor ein paar Jahren unaussprechlich gewesen wären. Und auch die Vertreter des politischen Establishments verlieren zunehmend die Contenance.
SPD-Chef Sigmar Gabriel (56) weigert sich, mit bestimmten Vertretern der AfD in Talkshows aufzutreten. Mit Radikalen wolle er nicht ins Fernsehen. «Solche Irren gibt es bei der AfD ja zuhauf», sagte Gabriel in einem Interview.
Die jüngste Entgleisung aber kam von Horst Seehofer (66). «Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung», diktierte der Chef der CSU einem Journalisten. «Es ist eine Herrschaft des Unrechts.»
Bisher hatte er so nur über Diktaturen und totalitäre Regimes gesprochen. Gleichzeitig liebäugelt der bayerische Ministerpräsident damit, gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu klagen, mit der gemeinsam er in der Regierung sitzt.
Seehofers Kalkül ist klar: Er will als starker Mann dastehen beim Thema Flüchtlinge, schliesslich wählen die Bayern noch in diesem Jahr ein neues Parlament. Der CSU-Chef muss aufpassen, dass er nicht zu viele Wähler an die AfD verliert. Die wirbt im Freistaat um Stimmen, rund neun Prozent könnten sich vorstellen, die Konservativen vom rechten Rand zu wählen.
Zu tumultartigen Szenen kam es diese Woche, als AfD-Frau Petry im Augsburger Rathaus auftrat. Wegen ihrer Schusswaffen-Aussage hatte sie zunächst Hausverbot erhalten, schliesslich durfte sie doch auftreten – 2000 demonstrierten vor dem Rathaus gegen die AfD.
Und was macht Angela Merkel? Das, was sie in den elf Jahren ihrer Kanzlerschaft in Krisen immer getan hat: Sie tut so, als ob nichts sei und versucht, das Chaos auszusitzen. Weil sie aus dem Inland wenig Beifall bekommt, holt sie sich die Zustimmung anderswo. Am Freitag empfing sie Hollywood-Star George Clooney (54) und seine Frau, die Menschenrechtsanwältin Amal (38) im Kanzleramt. Clooney lobte Merkels Flüchtlingspolitik. Es muss Balsam für ihre Seele gewesen sein. Doch das reicht nicht: Gut möglich, dass sich die geschickte Taktikerin Merkel dieses eine, entscheidende Mal verkalkuliert hat.