Buddhisten töten Muslime in Myanmar
Ein Volk wird ausgelöscht

Die buddhistische Regierung von Myanmar geht brutal gegen die muslimische Minderheit der Rohingya vor. Auf der Flucht sind schon Dutzende Menschen gestorben. BLICK erklärt die Hintergründe des Konflikts.
Publiziert: 18.10.2017 um 20:17 Uhr
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Aktualisiert: 01.02.2021 um 15:07 Uhr
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Eine Rohingya weint, nachdem ihr der Zugang zu Bangladesch verweigert wurde. Zehntausende warten derzeit an der Grenze zu dem Land. Doch Bangladesch hat die Grenzen dichtgemacht.
Foto: Keystone / LYNN BO BO
Simona Boscardin

Im südostasiatischen Myanmar findet derzeit praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein blutiger Konflikt statt. Rebellen der muslimischen Rohingya-Minderheit hatten am Freitag Polizei- und Armeeposten im Norden der Provinz Rakhine angegriffen. Mehr als hundert Menschen sollen dabei getötet worden sein.

Die Regierung antwortete mit brutaler Härte. Bei den Kämpfen kamen bislang hunderte Menschen ums Leben. Die meisten davon sind Rohingya.

Myanmar, das ehemalige Birma, liegt zwischen Thailand und Bangladesch am Golf von Bengalen.
Foto: Ringier Infographics

Die Gewaltwelle trieb fast eine halbe Million Rohingya in die Flucht nach Bangladesch. Einige überlebten sie nicht. Viele ertrinken beim Versuch den Grenzfluss Naf zu überqueren.

Krank und erschöpft

Tausende weitere Rohingya sitzen im Niemandsland zwischen den beiden Staaten fest. Viele der Geflüchteten an der Grenze zu Bangladesch sind krank und erschöpft, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Mittwoch mit. Die meisten von ihnen sind Frauen, Kinder und ältere Menschen.

Mehr als eine halbe Million Rohingya haben das Land verlassen
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Flucht aus Myanmar:Mehr als eine halbe Million Rohingya haben das Land verlassen

Doch kurz vor ihrem Ziel kommen die Flüchtlinge nicht mehr weiter, denn Bangladesch hat die Grenze dichtgemacht. Sie haben in den letzten Jahren rund 400'000 Rohingya aufgenommen und wollen jetzt keine Flüchtlinge mehr in ihr Land lassen.

Die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt

Die muslimische Minderheit der Rohingya wird im buddhistischen Myanmar seit Jahrzehnten verfolgt und ausgegrenzt. Die UN stuft sie als die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt ein. Etwa 1,3 Millionen Rohingya leben in Myanmar. In einem Land, in dem 51 Millionen Einwohner Buddhisten sind, stellen sie klar eine Minderheit dar.

Da die Muslime nicht als einheimische Bevölkerungsgruppe gelten, wird ihnen die Staatsbürgerschaft verweigert. Als Staatenlose verfügen sie über keinerlei Rechte. Sie haben somit keine Möglichkeit auf Schulbildung, dürfen sich im Land nicht frei bewegen und können weder Beruf noch Ehepartner frei wählen.

In Myanmar, in dem 51 Millionen Einwohner Buddhisten sind, wird den Rohingya die Staatsbürgerschaft verweigert. Ebenso verhindert der Staat, dass Hilfsorganisationen sich um die Muslime kümmern können. Seit vergangenem Jahr wird die Regierung von der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi geführt.
Foto: Keystone / LYNN BO BO

Regierung unterdrückt die Rohingya

Laut einem Bericht der «Zeit» unterstützt noch immer ein Grossteil der buddhistischen Bevölkerung diese Politik der Regierung. Seit vergangenem Jahr wird diese von der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi geführt. Das Militär besetzt aber immer noch mehrere Schlüsselpositionen.

Da die Regierung humanitären Organisationen den Zugang zu den Gebieten verweigert, in denen die Rohingya leben, können Helfer nicht schnell genug auf Notfälle reagieren und Hilfslieferungen werden nicht zugestellt.

Blutige Rache im Oktober

Im Oktober vergangenen Jahres eskalierte die Situation zum letzten Mal. Dabei überfielen Hunderte Rohingya drei Polizeistationen. Bewaffnet mit Messern, Schleudern und Gewehren, töteten sie drei Polizisten.

Die Armee antwortete mit einem schonungslosen Gegenschlag. Über Monate hinweg brannte sie Häuser nieder, tötete Männer und misshandelte Frauen. Internationale Beobachter vor Ort sprechen von einer gezielten Politik der Vertreibung und Vernichtung der muslimischen Minderheit.

Auch dieses Mal gab es Berichte über brennende Häuser. Wie schon damals beschuldigte die Regierung wiederum die Rohingya, ihre Häuser selbst angezündet zu haben.

Kinder und Babys getötet

Die Vereinten Nationen werfen den Sicherheitskräften unter anderem Massenvergewaltigungen und die willkürliche Tötung von Kindern und Babys vor. Der UN-Sonderberater für die Verhütung von Völkermord, Adama Dieng, sprach von einem Mass an Unmenschlichkeit und Grausamkeit, das «empörend und inakzeptabel» sei.

Eine Studie der Harvard Medical School in Boston (USA) bestätigt das Ausmass der Gewalt gegen Rohingya in Myanmar. Grundlage ihrer Untersuchung sind Daten unterschiedlicher Hilfsorganisationen und Beobachter der EU und der USA. Die Wissenschaftler werfen der Regierung Burmas Völkermord oder zumindest ethnische Säuberung vor.

Auch Kofi Annan, der frühere UN-Generalsekretär, äusserte sich besorgt über die Eskalation der Gewalt in Myanmar. Annan war Vorsitzender einer Kommission, die von der Regierung unter Aung San Suu Kyi damit beauftragt worden war, eine Lösung für den Konflikt zwischen den muslimischen Rohingya und den buddhistischen Gruppen zu finden.

Es ist fraglich, ob die Regierung den Empfehlungen nachkommen wird, die letzte Woche im Abschlussbericht übergeben worden sind. So hat der Oberbefehlshaber der myanmarischen Armee, General Min Aung Hlaing, schon Mängel in dem Bericht kritisiert.

Aung San Suu Kyi schwieg lange

Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi redet die Not der Rohingya klein. Gerade sie, die sich seit den späten 1980er-Jahren für eine gewaltlose Demokratisierung Myanmars eingesetzt hat. 15 Jahre lang stand sie unter Hausarrest, weggesperrt von den Generälen, die das Land und seine Bevölkerung ausnutzen.

Zwar gewann Aung San Suu Kyi die Parlamentswahlen 2015, wegen eines vom Militär eingeführten Verfassungstricks konnte sie jedoch nicht Präsidentin werden. Trotzdem vertritt sie das Land als Staatsrätin, während ein anderes Parteimitglied das Amt des Staatsoberhauptes ausübt.

Von dem von ihr versprochenen Aufbruch ist nichts zu spüren. Laut der «Süddeutschen Zeitung» habe Aung San Suu Kyi einen Entscheid getroffen: Statt Konfrontation sucht sie den Ausgleich mit dem Militär. Obwohl sie grossen Rückhalt im Volk geniesst, lehnt sie sich für die Rohingya nicht aus dem Fenster.

Diese werden von vielen im Land abgelehnt. Wer sich für sie einsetzt, macht sich unbeliebt. Da die Rohingya faktisch auch keine Staatsbürger Myanmars sind, ist sie nicht auf deren Unterstützung angewiesen. Dass die Staatsrätin, einst Ikone für Frieden und Menschenrechte, doch noch zu ihren Wurzeln zurückfindet, ist zu hoffen.

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