Für heute Mittag hatten Aktivisten und linke Gruppierungen zu einer grossen, regierungskritischen Friedens-Demonstration im türkischen Ankara aufgerufen. Doch noch vor Beginn der Kundgebung ist das Stadtzentrum in der Nähe vom Hauptbahnhof von zwei heftigen Explosionen erschüttert worden, bei denen gemäss Angaben der Regierung mindestens 86 Menschen getötet und 186 weitere verletzt wurden.
Die Zahl der Opfer könne noch höher liegen, berichtete die Nachrichtenagentur Dogan. Nach Angaben des türkischen Fernsehsenders NTV rasten Rettungskräfte zum Unglücksort. Die erste Explosion ereignete sich ersten Berichten zufolgen gegen 10 Uhr Ortszeit (9 Uhr MESZ), die zweite folgte nur wenige Minuten danach.
Fotos auf Twitter zeigen ein Bild des Chaos und der Zerstörung: Menschen liegen auf dem Boden, Blut klebt auf der Strasse, im Hintergrund steigen dicke Rauchschwaden auf.
Pro-Kurdische Partei Ziel des Doppelanschlags?
«Wir vermuten, dass es eine terroristische Verbindung gibt», sagte ein Regierungsvertreter am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Es werde Berichten nachgegangen, wonach sich ein oder zwei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt haben.
Die pro-kurdische Partei HDP ist nach eigener Einschätzung Ziel des Doppelanschlags gewesen. Die beiden Bomben seien inmitten von HDP-Anhängern detoniert, teilte die Oppositionspartei mit. Der Co-Vorsitzende Selahattin Demirtas sprach von einem «barbarischen Angriff» und einem «grossen Massaker». Auf Twitter schrieb er: «Diejenigen, die Frieden wollen, werden ermordet.» Die HDP war im Juni als erste pro-kurdische Partei ins Parlament eingezogen.
Gemäss Augenzeugen sei zur Zeit der Detonationen keine Polizei am Anschlagsort gewesen. Als Polizisten nach 15 Minuten eingetroffen seien, hätten die Sicherheitskräfte Tränengas gegen Menschen eingesetzt, die Verletzten helfen wollten.
PKK will Staats-Angriffe vorläufig aussetzen
Nach Scheitern eines zweijährigen Waffenstillstandes zwischen der Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Juli eskaliert im Südosten der Türkei die Gewalt. Es gab zahlreiche Anschläge der PKK gegen türkische Soldaten und Polizisten. Die türkische Armee wiederum bombardierte Stellungen der PKK im Nordirak. Die islamisch-konservative Regierung wirft der Kurdenpartei HDP vor, die PKK zu unterstützen.
Erdogan erklärte heute dennoch umgehend: «Ich verurteile diesen abscheulichen Angriff zutiefst, dessen Ziel die Einheit, Solidarität und der Frieden unseres Landes gewesen ist.» Erdogan versprach eine Aufklärung des Anschlags, zu dem sich zunächst niemand bekannte.
Kurdische Nachrichtenagenturen verbreiteten heute eine Erklärung der PKK-Führung, wonach die Arbeiterpartei Angriffe auf den Staat vor der Wahl in der Türkei unter Vorbehalt aussetze. Das Dokument wurde offensichtlich noch vor dem Doppelanschlag verfasst.
Die Kämpfer würden nur ihre Stellungen halten und keine Versuche unternehmen, freie und faire Wahlen zu stören. Bedingung sei, «dass keine Angriffe gegen die kurdische Bewegung, das Volk und Guerillakräfte ausgeführt werden», hiess es in der Erklärung. Von einer Waffenruhe spricht die PKK nicht.
Die Anschläge in der türkischen Hauptstadt Ankara auf eine Friedensdemonstration haben auch in der Schweiz Betroffenheit ausgelöst. In Zürich protestierten heute Nachmittag rund 1000 Menschen gegen die Bombenanschläge. Die Kundgebung verlief friedlich. (lex/cat)