Die Hilfbereitschaft der Deutschen in der sich täglich zuspitzenden Flüchtlingskrise hat weit bis über Europas Grenzen Wellen geschlagen. Mit viel Lob und Bewunderung hat die internationale Gemeinschaft auf die erklärte Bereitschaft der Bundesrepublik, 800'000 Flüchtlinge aufzunehmen und im kommenden Jahr bis zu zehn Milliarden Euro in die Asylpolitik zu investieren, reagiert.
Trotz des weitgehend positiven Echos scheint diese Offenheit im Umgang mit den Ankommenden nicht allen zu passen. Der britische Politologe Anthony Glees ist angesichts der Willkommenskultur der Deutschen irritiert. In einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen «Deutschlandfunk» hat Glees das Vorgehen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel als «undemokratisch» bezeichnet.
Mit der Entscheidung, die in Ungarn gestrandeten Migranten aufzunehmen, habe Berlin nicht nur gegen EU-Recht verstossen, sondern auch die Existenz der Europäischen Union aufs Spiel gesetzt. «Man mag über die ungarische Regierung denken, was man will. Aber wenn Deutschland sich nicht an die Regeln hält, fällt die ganze EU auseinander», sagte Glees.
Deutsche sind Briten «sehr unsympatisch»
Deutschland gebe sich im Moment als «Hippie-Staat, der nur von Gefühlen geleitet wird». Statt nur mit dem Herz, müsse man auch mit dem Hirn handeln, forderte der Politologe - so wie es auch der britische Premierminister David Cameron gefordert hatte.
Nach Glees' Worten gibt Deutschland Kennern des Landes derzeit Rätsel auf. Während Grossbritannien sich in Syrien militärisch engagiere, um die Terrormiliz Islamischer Staat zu bekämpfen, halte sich Berlin heraus. Gleichzeitig sage die Bundesregierung dann aber den verzweifelten Menschen in Syrien und im Irak, sie sollten in die Bundesrepublik kommen. «Das scheint vielen Briten unsinnig. Viele meinen, die Deutschen hätten ihren Verstand verloren.»
Auch die Willkommens-Chöre am Münchner Bahnhof hätten ihn sehr überrascht, so der Brite. Jedoch nicht, weil er meine, die Deutschen und die deutsche Regierung hätten keine humanitären Gefühle, sondern weil Deutschland besonders während der Griechenland-Krise immer wieder auf die Einhaltung der Regeln und Gesetze gepocht habe. Glees: «Das, was Frau Merkel und die Bundesrepublik im Hinblick auf Ungarn gemacht hat, erscheint mir widerrechtlich.» Er bedaure sehr, dass die Ereignisse der vergangenen Tage die Deutschen in Grossbritannien «sehr unsympathisch» gemacht hätten.
Flüchtlingskrise – ein «deutsches Problem»
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hatte in der vergangenen Woche die Flüchtlingsströme an den Grenzen Europas als «deutsches Problem» bezeichnet und die Verantwortung zur Bewältigung der Krise nach Berlin abgeschoben – schliesslich würden die Migranten sowieso alle nach Deutschland wollen. Gleichzeitig ermahnte er die Deutschen aber auch, sie sollen nicht so «naiv grosszügig» sein.
Zur Kritik an dem Flüchtlingschaos in Ungarn erklärte Orbán, dass er sich lediglich an die europäischen Regeln halte. Diese sähen vor, dass kein Flüchtling ausreisen dürfe, bevor er nicht registriert sei. Zudem müsse Ungarn seine Grenze nach dem Schengen-Abkommen sichern. (gr)