Brigitte Bierlein ist Österreichs erste Kanzlerin
Eine Frau für die Krise

Zum ersten Mal steht in Österreich eine Frau an der Regierungsspitze. Die Richterin Brigitte Bierlein ist nicht nur kompetent, sondern auch hartnäckig, wie sie bei einem Raubüberfall bewies.
Publiziert: 30.05.2019 um 23:37 Uhr
|
Aktualisiert: 31.05.2019 um 07:44 Uhr
1/8
Die erste Kanzlerin wird nicht lange bleiben: Brigitte Bierlein bleibt nur bis September im Amt.
Foto: AFP
Guido Felder

Nach 29 Männern steht erstmals eine Frau an der Regierungsspitze der Republik Österreich. Bundespräsident Alexander Van der Bellen (75) hat am Donnerstag Brigitte Bierlein (69) zur Übergangskanzlerin bestimmt, welche die Regierung bis zu den Neuwahlen im September führen und die erhitzten Gemüter beruhigen soll. Für das neue Amt wird Bierlein ihren Job als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs an den Nagel hängen.

Als Erstes wird Bierlein aus Spitzenbeamten eine Übergangsregierung zusammenstellen, die sie in den nächsten Tagen vorstellen will. Es sind bereits zwei Namen bekannt: Der Ex-Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Clemens Jabloner (70), wird Vizekanzler und Justizminister, der in Bern geborene Botschafter-Sohn Alexander Schallenberg (50), der die EU-Sektion im Kanzleramt leitet, wird Aussen- und Europaminister. Grosses wird die Übergangsregierung nicht anreissen können, sie muss sich vor allem aufs Verwalten der Staatsgeschäfte konzentrieren.

Pionierin am Gericht

Bierlein ist eine echte Pionierin, die Männerbastionen erobert: 1990 wurde sie als erste Frau Generalanwältin beim Obersten Gerichtshof, 2018 erste Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, nun steigt sie als erste Frau zur Regierungschefin auf. Van der Bellen lobt sie: «Ich habe sie als umsichtige, weitsichtige und äusserst kompetente Person schätzen gelernt.» Obwohl Bierlein als rechtskonservativ gilt, findet sie als Frau auch bei der SPÖ Rückhalt.

Ihre Hartnäckigkeit bewies sie, als sie 2004 bei einem Raubüberfall in Wien ihre Handtasche verteidigte und Verletzungen in Kauf nahm, bis der Täter von ihr abliess. Damals sagte sie: «Ich wollte die Tasche behalten, weil doch die Kreditkarte darin war.»

Kam die Anfrage in Vaduz?

Die Anfrage zum Kanzleramt sei für sie überraschend gekommen, sagte sie am Donnerstag nach ihrer Vorstellung durch den Bundespräsidenten. Nach kurzer Bedenkzeit habe sie sich entschieden, dass sie das Amt zum Wohle des Landes antreten werde. Bierlein: «Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dem Vertrauen gerecht zu werden.» 

Bierlein, die sich in jungen Jahren zuerst für die Kunstakademie einschreiben wollte, weilte erst vor kurzem in Schweizer Nähe. Anfang dieser Woche besuchte sie mit einer Delegation des Verfassungsgerichtshofs das Fürstentum Liechtenstein, wo sie Erbprinz Alois (50) traf und über die Sicherung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie Gespräche führte. Vermutlich war sie da mit ihren Gedanken bereits bei der Frage, ob sie als Kanzlerin einspringen soll. 

Im Herbst kehrt Kurz zurück

Österreich braucht eine neue Kanzlerin, weil die Video-Affäre Überflieger Sebastian Kurz (32) zu Fall gebracht und das Land in eine Regierungskrise gestürzt hat. Die Übergangsregierung wird bis zu den Neuwahlen im Herbst im Amt bleiben. Es wäre eine Überraschung, wenn dann der gestürzte Kanzler Kurz nicht wieder antreten und seinen verlorenen Posten zurückerobern würde.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?