Wie die EU-Kommission am Montag in Brüssel mitteilte, soll Grossbritannien den EU-Austrittsvertrag verletzt haben. Die Europäische Union hat deshalb ein Verfahren eingeleitet. Hintergrund ist der Streit über die Brexit-Sonderregeln für die britische Provinz Nordirland.
Brüssel wirft London vor, Vereinbarungen eigenmächtig zu ändern und so gegen den 2019 ausgehandelten Vertrag zu verstossen. Das Vertragsverletzungsverfahren dürfte die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen der EU und Grossbritannien weiter belasten.
Leere Supermarktregale
Das sogenannte Nordirland-Protokoll im Austrittsvertrag sieht vor, dass einige Regeln des EU-Binnenmarkts für Nordirland weiter gelten. Dies soll Kontrollen an der Grenze zum EU-Staat Irland auf der gemeinsamen Insel überflüssig machen. Doch entsteht damit eine Warengrenze zwischen Nordirland und dem übrigen Grossbritannien. Einfuhren müssen kontrolliert werden. Obwohl einige Monate Schonfrist mit verringerten Kontrollen vereinbart wurden, klagen Unternehmen über Probleme. In Nordirland blieben zeitweise Supermarktregale leer.
Die erste Übergangsphase nach Vollendung des Brexits zum Jahreswechsel sollte Ende März vorbei sein. Danach sollten Lieferanten tierischer Produkte Gesundheitszertifikate für Lieferungen von Grossbritannien nach Nordirland haben. Doch kündigte die britische Regierung eine einseitige Verlängerung mit Hinweis auf «oft übermässige Konsequenzen» des Nordirland-Protokolls an. Krisengespräche der EU mit Grossbritannien halfen nichts. Wenige Tage später schuf London erneut vollendete Tatsachen und suspendierte ein Importverbot für Pflanzen, die in Erde aus Grossbritannien eingetopft sind.
Rückfall im Nordirland-Konflikt?
Der zuständige EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic hatte scharf reagiert und der britischen Regierung Vertrags- und Vertrauensbruch vorgehalten. Auch die irische Regierung äusserte sich empört. Der britische Brexit-Beauftragte David Frost entgegnete, die britischen Massnahmen seien rechtmässig. Er sprach von «vorübergehenden, operativen Schritten».
Die Nordirland-Frage gilt als eine der schwierigsten im Zusammenhang mit dem britischen EU-Austritt 2020. In der britischen Provinz bekämpften sich jahrzehntelang Befürworter eines unabhängigen vereinten Irlands und Anhänger der Union mit Grossbritannien. Der Konflikt wurde mit dem Karfreitagsabkommen 1998 entschärft. Danach wurden beide Teile der Insel ein gemeinsamer Wirtschaftsraum ohne sichtbare Grenze. Die Befürchtung ist, dass der Brexit die Insel erneut teilt.
Für Grossbritannien sind die Nordirland-Regeln politisch heikel, weil sich Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs abgekoppelt fühlen könnte. Die EU pocht hingegen auf die Einfuhrkontrollen in Nordirland, da ohne sie eine Art Hintertür in den EU-Binnenmarkt entstehen könnte. Im schlimmsten Fall müsste doch an der inneririschen Grenze kontrolliert werden – politisch für die EU und ihr Mitglied Irland unannehmbar.
Auch wegen Corona-Impfung gibts Zoff
Zwischen London und Brüssel ist der Ton inzwischen sehr rau, zuletzt auch im Konflikt um Corona-Impfstoff. EU-Ratspräsident Charles Michel warf Grossbritannien vor, einen Exportstopp verhängt zu haben. London wies dies empört zurück. Dabei geht es vor allem um das Mittel des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca, der grosse Mengen in Grossbritannien herstellt und dort auch liefert. Die Lieferpflichten an die EU hält das Unternehmen hingegen nicht ein, unter anderem mit dem Hinweis auf Exportbeschränkungen.
Dies teilte die EU-Kommission am Montag in Brüssel mit. Hintergrund ist der Streit über die Umsetzung der Brexit-Sonderregeln für die britische Provinz Nordirland. (SDA)