Nach ihren erfolgreichen Last-Minute-Verhandlungen in Strassburg hofft die britische Premierministerin Theresa May auf einen Durchbruch für ihr Brexit-Abkommen im Parlament in London. Am (heutigen) Dienstagabend voraussichtlich ab 20 Uhr Schweizer Zeit sollen die Abgeordneten im Unterhaus ein zweites Mal über das mit Brüssel ausgehandelte Vertragspaket zum EU-Austritt des Landes abstimmen.
Bei der ersten Abstimmung war May krachend gescheitert. Auch dieses Mal wurden ihr kaum Chancen ausgerechnet. Nun hofft sie, dass die in letzter Minute gewonnenen Zugeständnisse der Europäischen Union bei der umstrittenen irischen Grenzfrage das Blatt noch einmal wenden.
Könnte das Parlament Mays Deal annehmen?
Entscheidend für einen Erfolg bei der Abstimmung dürfte sein, ob der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox in einem Rechtsgutachten seine ursprüngliche Bewertung des Abkommens nun ändert. Cox hatte im Dezember befunden, dass Grossbritannien durch die sogenannte Backstop-Regelung dauerhaft gegen seinen Willen an die EU gebunden bleiben könnte.
Der Backstop soll verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Ansonsten wird ein Wiederaufflammen der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion befürchtet. Die Regelung sieht vor, dass Grossbritannien so lange in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis die Frage anderweitig gelöst ist.
Sollte Cox seine Meinung ändern, dürften viele Brexit-Befürworter in Mays Konservativer Partei ihren Widerstand gegen das Abkommen aufgeben. Würde sich gar die nordirisch-protestantische DUP überzeugen lassen, könnte May nach Ansicht von Beobachtern sogar eine Chance haben, ihren Deal doch noch durchs Parlament zu bringen.
Wie geht es weiter?
- Wird der Vertrag am Dienstag trotz der Nachbesserungen abgelehnt, will May am Mittwoch über ein Ausscheiden ohne Deal abstimmen lassen.
- Findet auch das keine Mehrheit, sollen die Abgeordneten am Donnerstag entscheiden, ob London eine Verschiebung des Brexits beantragen soll.
- Planmässig will sich Grossbritannien am 29. März von der EU trennen.
EU kommt May ein letztes Mal entgegen
May hatte sich am Montagabend kurzfristig mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Strassburg getroffen. Bei einer anschliessenden Pressekonferenz sagte Juncker, man habe sich im Geiste der Kooperation auf ein «rechtlich verbindliches Instrument» als Ergänzung zum Austrittsvertrag geeinigt.
Das «rechtlich verbindliche Instrument» soll noch deutlicher machen, dass der Backstop höchstens eine Übergangslösung ist. Und eine gemeinsame Ergänzung der politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen beider Seiten soll betonen, dass diese schnellstmöglich geklärt werden. Das soll den Backstop überflüssig machen.
Juncker stellte klar, dass dies die letzten Zugeständnisse der EU sein würden. Er beschwor die Abgeordneten im britischen Unterhaus, dem Vertrag nun zuzustimmen. «Es wird keine dritte Chance geben», sagte Juncker. Werde dieser Vertrag nicht angenommen, werde der Brexit womöglich gar nicht stattfinden. Eine Verlängerung der Austrittsfrist sei nur bis zur Europawahl Ende Mai möglich, andernfalls müsse Grossbritannien an der Wahl teilnehmen.
Gemischte Gefühle bei den Parteien
May richtete einen ähnlichen Appell an die Abgeordneten. «Heute haben wir rechtliche Änderungen durchgesetzt. Jetzt ist es Zeit, gemeinsam diesen verbesserten Brexit-Deal zu unterstützen und den Willen des britischen Volks umzusetzen», sagte die Premierministerin.
May kündigte zudem eine einseitige Erklärung an. Demnach sieht sich London berechtigt, Massnahmen zu ergreifen, die zum Ende der Backstop-Regelung führen, sollten die Verhandlungen über eine künftige Beziehung scheitern.
Führende konservative Brexit-Hardliner und die DUP zeigten sich zurückhaltend. Die Änderungen am Abkommen müssten nun zunächst einer gründlichen Prüfung unterzogen werden, teilte die DUP mit.
Die Opposition dagegen war unbeeindruckt. Labour-Chef Jeremy Corbyn bezeichnete die Verhandlungen als «gescheitert». In der Vereinbarung sei nichts, was den Änderungen nahe komme, die May dem Parlament versprochen habe. Auch der Labour-Brexit-Experte Keir Starmer hält die Änderung für bedeutungslos. Juncker stellte ebenfalls klar, dass er nicht über das bisherige Mandat der übrigen 27 EU-Staaten hinaus gegangen sei.
Für Irland könnte der Kompromiss an die Schmerzgrenze gehen. Während Mays Treffen mit Juncker in Strassburg kam das Kabinett in Dublin zu einer Krisensitzung zusammen. Regierungschef Leo Varadkar, der eigentlich in die USA reisen wollte, wurde vom Flughafen in der irischen Hauptstadt zu dem Treffen zurückgebracht.
Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:
Übergangsphase
Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.
EU-Bürger
Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.
Finanzverpflichtungen
Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen.
Nordirland
Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.
Künftige Beziehungen
Ziel ist laut Dokument bei Waren die «Schaffung eines Freihandelsgebiets» ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmässige Beschränkungen.
Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:
Übergangsphase
Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.
EU-Bürger
Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.
Finanzverpflichtungen
Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen.
Nordirland
Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.
Künftige Beziehungen
Ziel ist laut Dokument bei Waren die «Schaffung eines Freihandelsgebiets» ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmässige Beschränkungen.
Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.
Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.
Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.
Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.
Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.
Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.