Brexit-Chaos erreicht Supreme Court
Urteil zu Parlaments-Zwangspause nächste Woche erwartet

Das oberste britische Gericht will Anfang nächster Woche eine Entscheidung zu der von Premierminister Boris Johnson auferlegten Zwangspause des Parlaments treffen. Das kündigte die Vorsitzende Richterin Lady Brenda Hale zum Abschluss der dreitägigen Anhörung an.
Publiziert: 20.09.2019 um 11:12 Uhr
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Diese Woche hat das oberste Gericht Grossbritanniens über die Zwangspause des Parlaments beraten. Ein endgültiges Ergebnis wird für nächste Woche erwartet. Vor dem Supreme Court in London kam es zu Demonstrationen.
Foto: Getty Images

Zum Abschluss des Verfahrens warf der frühere Premier John Major seinem Parteikollegen Johnson vor, die Zwangspause solle einzig verhindern, dass das Parlament von seinem Recht Gebrauch mache, mit der Regierung nicht einverstanden zu sein und Gesetze nach eigenem Ermessen zu erlassen.

Majors Anwalt Edward Garnier sagte vor Gericht, es sei eine «unausweichliche» Schlussfolgerung, dass Johnson das Parlament beurlaubt habe, damit seine Brexit-Pläne nicht torpediert würden. Die Tatsache, dass er die Gründe dafür nicht offenlegen konnte oder wollte, sei «auffällig".

Regierung bestreitet Zusammenhang

Die Regierung bestreitet das. Die Pause von fünf Wochen in der entscheidenden Zeit vor dem derzeit für den 31. Oktober geplanten EU-Austritt habe nichts mit dem Brexit zu tun. Johnson hatte aber angekündigt, an diesem Tag das Land notfalls auch ohne Abkommen aus der EU zu führen.

Um dies zu verhindern, hatte die Opposition gemeinsam mit Abweichlern aus Johnsons eigener Partei vor Beginn der Zwangspause im Eilverfahren - und gegen den Willen des Premierministers - noch ein Gesetz erlassen, dass einen Brexit ohne Abkommen unmöglich machen soll.

Bereits zwei Urteile

Ausserdem klagten mehrere Abgeordnete gegen die verhängte Zwangspause. Der High Court in London und das höchsten schottischen Gericht hatten sich bereits dazu geäussert.

Nun müssen die elf Richter des obersten Gerichts entscheiden, ob sie dem Urteil aus London folgen, das im Sinne der Regierung ausgefallen war, oder ob sie sich der Meinung des Gerichts in Edinburgh anschliessen. Dieses hatte die fünfwöchige Parlamentsschliessung für rechtswidrig erklärt.

Wie beeinflusst Urteil die Brexit-Verhandlungen?

Die rechtliche Frage ist nicht einfach zu klären, weil es in Grossbritannien keine geschriebene Verfassung gibt, die etwa die Kompetenzen des Regierungschefs klar abgrenzen würde.

Sollten die elf Richter entscheiden, dass die Zwangspause illegal war, müsste Johnson das Parlament wohl wieder tagen lassen. Nach seinen ursprünglichen Plänen sollte die sogenannte Prorogation bis zum 14. Oktober dauern. Für Johnson wäre das die nächste schwere Niederlage.

Finnischer Premier setzt London eine Brexit-Frist

Der finnische Ministerpräsident Antti Rinne hat der Regierung in London im Ringen um den EU-Austritt Grossbritanniens eine Frist gesetzt. Die Regierung des britischen Premierministers Boris Johnson müsse bei der EU bis Ende September einen «schriftlichen Vorschlag» einreichen, erklärte ein Sprecher Rinnes am Donnerstag.

Auf diese Weise könne Grossbritannien einen EU-Austritt ohne Abkommen verhindern. Finnland hat Anfang Juli für sechs Monate den EU-Vorsitz übernommen.

Briten legen Dokumente vor

Ein Sprecher Johnsons wies Rinnes Forderung zurück. London werde «förmliche schriftliche Lösungen» vorschlagen, wenn diese fertig seien, nicht «gemäss einer künstlichen Frist», sagte der Sprecher.

Die EU-Kommission bestätigte unterdessen, dass sie aus London «Schriftstücke» erhalten habe, in denen es um eine mögliche Brexit-Vereinbarung gehe. Es sei allerdings noch zu früh, um zu beurteilen, ob es sich um einen Lösungsvorschlag handele.

«Solange wir sie nicht im Detail angesehen haben, werden wir sie nicht näher charakterisieren», sagte eine EU-Kommissionssprecherin in Brüssel. Die Dokumente aus Grossbritannien sollten zunächst für «technische Diskussionen» dienen, am Freitag sei dann ein Treffen auf «politischem Niveau» zwischen EU-Unterhändler Michel Barnier und dem britischen Brexit-Minister Stephen Barclay geplant.

Keine Verlängerung ohne guten Grund

Rinne hielt sich am Mittwoch zu einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris auf. Er sagte bei dieser Gelegenheit, die EU werde London vermutlich keine weitere Verschiebung des Austrittsdatums gewähren, falls London keine konkreten Vorschläge unterbreite. Für den 17. und 18. Oktober ist in Brüssel ein EU-Gipfel geplant.

Über ein Jahr Verhandlungen ohne Ergebnisse

Die britische Bevölkerung sprach sich bei einem Referendum im Juni 2016 mit einer Mehrheit von 51,9 Prozent für den EU-Austritt aus. Ende März 2017 reichte London den Austrittsantrag ein. Seither blieben die Austrittsverhandlungen erfolglos.

Ein im November 2018 unter der damaligen britischen Premierminister Theresa May vorgelegter Vertrag wurde vom britischen Unterhaus mehrfach abgelehnt. Das Parlament in London verweigert aber auch einen Austritt ohne Abkommen. Die ursprüngliche Frist für den Brexit, der 29. März 2019, wurde inzwischen auf den 31. Oktober verschoben. (SDA)

Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

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