"Das Kabinett hat gemeinsam entschieden, dass die Regierung dem Entwurf für die Austrittsvereinbarung zustimmen soll", sagte May nach einer mehr als fünfstündigen Sitzung der Ministerrunde in London. Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, vor allem mit Blick auf die umstrittene Irland-Frage. May sprach dennoch vom bestmöglichen Abkommen, das habe ausgehandelt werden können.
Konservative Brexit-Hardliner hatten denn auch Regierungsmitglieder zuvor aufgerufen, den Entwurf abzulehnen. Medien spekulierten über mögliche Rücktritte von Ministern. Am Donnerstag will May im Parlament eine Erklärung zur Kabinettsberatung über den Entwurf für den Brexit-Vertrag geben.
Für May könnten Rücktritte von Ministern gefährlich werden - vor allem, wenn wichtige Kabinettsmitglieder wie Handelsminister Liam Fox oder Brexit-Minister Dominic Raab abspringen sollten. Doch auch ein Rücktritt von Arbeitsministerin Esther McVey oder Entwicklungshilfeministerin Penny Mordaunt wären ein Rückschlag für die Regierungschefin.
Umstritten an dem Entwurfsdokument dürfte vor allem die Passage zur Lösung der Irland-Frage sein. Dabei geht es darum, wie Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit verhindert werden können.
Was die Unterhändler im Detail dazu vereinbart haben, war zunächst nicht bekannt. Doch die Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei und auch die Abgeordneten der nordirischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, liefen sofort dagegen Sturm.
Soweit bekannt ist, dass die EU darauf pocht, schon jetzt eine Notfallregelung - im Fachjargon "Backstop" genannt - festzulegen, falls die Verhandlungen zwischen Brüssel und London zu keinem Ergebnis führen. Dank des "Backstops" sollen Probleme an der Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindert werden.
Der nun ausgehandelte Kompromiss sieht Medienberichten zufolge vor, dass ganz Grossbritannien im Notfall in der Zollunion der EU bleiben soll. Für Nordirland sollen demnach aber "tiefergehende" Bestimmungen gelten.
Zeitgleich mit dem britischen Kabinett tagten in Brüssel die Botschafter der 27 verbliebenen EU-Staaten und liessen sich von der EU-Kommission über den Verhandlungsstand informieren. Details waren keine zu erfahren.
Am Abend veröffentlichte die EU-Kommission aber den 585 Seiten starken Entwurf für ein Brexit-Abkommen mit Grossbritannien im Internet. Der für die Einberufung von Gipfeln der Staats- und Regierungschefs zuständige EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte an, er werde Brexit-Verhandlungsführer Michel Barnier am Donnerstagmorgen treffen.
Laut Barnier ist in den Brexit-Verhandlungen das Ziel erreicht worden, eine "harte Grenze" mit wiedereingeführten Kontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und Irland zu verhindern. Das Ziel sei es, die Frage während der geplanten Übergangsphase bis Ende 2020 nach dem Brexit abschliessend zu klären, sagte Barnier am Mittwochabend in Brüssel.
Reiche die Zeit nicht, könne die Übergangsphase verlängert werden, oder es greife eine Auffanglösung, in der das gesamte Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU bleibe.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schrieb am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter, er sehe die Brexit-Verhandlungen mit Grossbritannien fast am Ziel, nachdem das britische Kabinett den Entwurf für das Abkommen gebilligt habe. Er sehe genügend Fortschritt, um die Verhandlungen nun zu beenden.
Auf den erzielten Kompromiss wartet bereits die nächste Hürde. Denn im Parlament in London dürfte der Entwurf des Brexit-Abkommens nur schwer durchzusetzen sein.
Die Brexit-Hardliner bei den Konservativen fordern, dass der "Backstop" nur für eine begrenzte Zeit gelten dürfe. Die DUP sträubt sich gegen jegliche Sonderbehandlung Nordirlands. Beide drohen damit, das Abkommen durchfallen zu lassen.
Zu allem Übel kündigten am Mittwoch die schottischen Abgeordneten in Mays Regierung Widerstand an, sollte Grossbritannien nicht die alleinige Entscheidung über die Fischfangrechte in seinen Küstengewässer zurückerhalten.
Sollte der Kompromiss im Parlament keine Mehrheit finden, droht ein Austritt ohne Abkommen - mit schweren Folgen für alle Lebensbereiche. Zuerst würde ein solches Szenario aber wohl das Ende der Regierung May bedeuten. Auch eine Neuwahl oder ein zweites Brexit-Referendum werden für diesen Fall nicht ausgeschlossen. Grossbritannien wird die Staatengemeinschaft am 29. März 2019 verlassen.