Im Appenzellerland endet das Jahr zweimal, am 31. Dezember und am 13. Januar. Weil das Chlausen nach alter Tradition an Sonntagen verboten ist, waren die Chlausen-Schuppel (Gruppen) diesmal bereits am 30. Dezember unterwegs. Wegen des Regenwetters zogen aber fast ausschliesslich Naturchläuse durch die Dörfer.
Anders als vor zwei Wochen waren Gewänder aus Tannenzweigen, Efeuranken oder Holzwolle und furchterregende Masken am alten Silvester kaum zu sehen. In Urnäsch, dem Hotspot des alten Silvesters, herrschte am Samstag trockenes Wetter, sodass die schönen Chläuse ihre prächtigen Hauben und Hüte tragen konnten.
Der spezielle Kopfschmuck, auf dem zumeist Szenen aus dem bäuerlichen Leben dargestellt sind, ist nicht wetterfest. Regen oder Schnee würde den in Hunderten von Freizeitstunden angefertigten Prachtstücken schaden.
Von früh morgens bis in die Nacht ziehen die Silvesterchläuse von Hof zu Hof. In flottem Tempo eilen sie hintereinander über Strassen, Wege und Wiesen. Der «Vorrolli» kündigt die Gruppe an, die Bewohner versammeln sich. Wenn auch der «Noerolli» angekommen ist, schellen und rollen die Männer und machen einen «heiden» Lärm.
Dann stimmen sie ein «Zäuerli» an, einen wortlosen Appenzeller Jodel. Eine andächtige, fast mystische Stimmung verbreitet sich. Das Ritual wiederholt sich üblicherweise drei Mal. Anschliessend wünschen die Chläuse den Hausbewohnern ein gutes neues Jahr. Es wird geplaudert und gelacht und die Gastgeber flössen den Chläusen mit Hilfe eines Schlauches durch die Masken Getränke ein - meist Wein oder Glühwein.
Zum Znüni, Zmittag oder Zvieri werden die Schuppel in die gute Stube gebeten, wo sie für einige Zeit ihre Hauben und Masken ablegen und durchatmen können. Am Abend sind die Schuppel bis Mitternacht in den Wirtschaften unterwegs.
Das Chlausen ist körperlich sehr anstrengend. Ein «Schelli» trägt zwischen zwanzig und dreissig Kilo mit sich herum. Deshalb ist das Silvesterchlausen Männersache - obwohl die Chläuse auch Frauenfiguren darstellen. Bevor es dunkel wird, kommen die Silvesterchläuse dann in die Dörfer, wo das Fest in den Restaurants bis lange nach Mitternacht weitergeht.
Gemäss neuen Erkenntnissen hat das Silvesterchlausen keinen heidnischen Hintergrund, sondern ist auf einen entarteten spätmittelalterlichen Nikolaus-Brauch zurückzuführen. Erstmals wird das «Klausen» 1663 schriftlich erwähnt. Den kirchlichen Behörden passte das «in der Nacht herumlaufen mit schellen und polderen in Form des Niklausens» gar nicht. Es kam immer wieder zu Verboten. Geblieben ist einzig, dass nie an einem Sonntag gechlaust wird.
Dass Silvester erst am 13. Januar gefeiert wird, hat ebenfalls religiöse Gründe: Die Protestanten im Urnäschtal weigerten sich, den seit 1798 vom Papst vorgeschriebenen Gregorianischen Kalender anzuerkennen und feierten den Jahreswechsel weiterhin nach dem Julianischen Kalender.
Seit den 1950-er Jahren boomt der Brauch. Nachwuchsprobleme kennen die Chlausen-Schuppel nicht. «Das Virus fürs Silvesterchlausen geht sozusagen von den Vätern auf die Kinder über», sagte Walter Frick der Nachrichtenagentur sda. Der Kurator des Brauchtumsmuseums ist von Kindsbeinen an selbst jedes Jahr als Silvesterchlaus unterwegs. In Urnäsch sind dieses Jahr 27 Erwachsenen-Schuppel und zehn «Gofen»-Schuppel unterwegs - ein Rekord.
Auch bei den Zuschauerinnen und Zuschauern aus dem In- und Ausland wird das Silvesterchlausen immer beliebter. In Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung wollten die Menschen wieder das Ursprüngliche spüren, vermutet Frick. Sogar Bundesrat Ueli Maurer liess sich das Schauspiel nicht entgehen.