Foto: Official White House Photo by Joyce N. Boghosian

Botschafter Jacques Pitteloud (58) sagt, was der Machtwechsel für die Schweiz bedeutet
«Unter Trump hätten wir vielleicht eine grössere Chance gehabt»

Joe Biden wird erst mal wenig Zeit für die Schweiz haben, glaubt Jacques Pitteloud. Mit BLICK spricht der Diplomat über ein Freihandelsabkommen, die Amtsübergabe und wofür Amerikaner uns bewundern.
Publiziert: 20.01.2021 um 07:15 Uhr
|
Aktualisiert: 20.01.2021 um 21:40 Uhr
1/7
Seit September 2019 ist Jacques Pitteloud der Schweizer Botschafter in Washington.
Foto: Official White House Photo by Joyce N. Boghosian
Interview: Fabienne Kinzelmann

Jacques Pitteloud (58) hat einen Vogel – beobachtet. Anfang Januar bekam er einen (im Nordosten der USA seltenen) Papstfink vor die Kamera. Das Foto vom bunten Flügeltier schaffte es sogar in die «Washington Post». Seither ist der Walliser in der US-Hauptstadt nicht nur als Schweizer Botschafter, sondern auch als passionierter Vogelbeobachter bekannt. «Ich treffe bei meinen Expeditionen die unglaublichsten Menschen», schwärmt er im Telefon-Interview mit BLICK. «Das ist das neue Golf. Nur billiger und besser für die Natur.» Von Journalisten über Abgeordnete bis hin zu CEOs seien in Washington praktisch alle mit Fernglas und Kamera auf der «Jagd».

Herr Botschafter, wann gehen Sie mit Joe Biden Vögel beobachten?
Jacques Pitteloud (lacht): Ich weiss gar nicht, ob er Vogelbeobachter ist!

Sind Sie heute bei seiner Amtseinführung dabei?
Selbstverständlich! Wir Diplomaten stehen bei jeder Amtseinführung Spalier. Eine persönliche Begegnung ist an diesem Tag aber nicht drin. Es ist auch echt nicht üblich, dass Botschafter den Präsidenten überhaupt treffen. Es sei denn, sie vertreten sehr, sehr wichtige und enge Verbündete der Vereinigten Staaten. Die letzten Jahre waren dahingehend eine Ausnahme. Der Normalzustand ist, dass der Schweizer Botschafter den amerikanischen Präsidenten im Fernsehen sieht.

Also werden der Schweiz die Türen zum Weissen Haus nicht mehr so weit offen stehen wie unter Trump?
Das ist schwierig zu sagen. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Schweiz werden immer wichtiger – auch für die USA. Die neue Regierung hat aber so viele Probleme zu lösen, dass sie wahrscheinlich zunächst nicht viel Zeit für die Schweiz haben wird.

US-Botschafter Edward McMullen, Ihr Amtskollege in Bern, hat in einem Abschiedsinterview gesagt, unter Trump hätte die Schweiz in den nächsten vier Jahren sicher ein Freihandelsabkommen bekommen.
Die Vereinigten Staaten sind mittlerweile neben Deutschland der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Die Schweiz ist der sechstgrösste Investor in die US-Wirtschaft und Top-3-Investor im Bereich Forschung und Entwicklung. Die Wirtschaftsbeziehungen sind im Moment sehr gut. Ein Freihandelsabkommen wäre aber eine Versicherung für den Fall, dass es auf den Weltmärkten stürmisch wird. Hätte Trump eine zweite Amtszeit bekommen, hätten wir vielleicht eine etwas grössere Chance gehabt. Die neue Regierung um Joe Biden muss sich erst mal mit anderen Problemen befassen. Aber wir werden uns weiterhin um ein Freihandelsabkommen bemühen.

Die Schweiz vertritt als Schutzmacht seit 40 Jahren die US-Interessen im Iran. Aktuell flammt der Konflikt wieder auf. Wie ernst ist die aktuelle Situation?
Wir müssen die Spannungen ständig und permanent ernst nehmen, denn wir haben mit den USA und dem Iran zwei Regierungen, die Absichten der jeweils anderen Seite mit grossem Misstrauen betrachten. Die Hochs und Tiefs gibt es seit 40 Jahren. Aber in beiden Ländern stehen in diesem Jahr Machtwechsel an, das ist eine delikate Zeit. Die Schweizer Diplomaten in Washington und Teheran stellen jederzeit sicher, dass Nachrichten zwischen den beiden Regierungen so rasch wie möglich übermittelt werden.

Ihre bisherige Zeit in Washington wurde von Corona dominiert. Wie haben Sie die vergangenen Monate in den USA erlebt?
Wie viele andere Staaten auch wurden die USA vom Coronavirus überrascht, und sie haben die Pandemie am Anfang wohl unterschätzt. Aber wenn die Krise da ist, setzen sie plötzlich eine Maschinerie in Gang und sind dann sehr oft effizienter als der Rest. Dass sie die Corona-Krise nicht gut gemeistert haben, mag auch an der föderalen Politik liegen. Andererseits muss man sagen, dass sie auf die Impfung gesetzt und das Geld dafür investiert haben. Die ganze Industrie und die Forschung haben sich darauf konzentriert, und jetzt gibt es innerhalb eines Jahres drei Impfungen, die sie produzieren können.

Sind Sie in den USA denn schon geimpft worden?
Ich gehöre knapp noch nicht zur Risikogruppe, also muss ich noch warten. Im Moment ist die Impfaktion auch hier noch nicht ganz so schnell, wie man sich das erhofft hätte. Auch das mag an der stark föderalen Struktur liegen, wie sie auch die Schweiz kennt. Was die Amerikaner aber wirklich beeindruckt hat – zu Recht! –, ist: dass das Gesundheitssystem in der Schweiz trotz der hohen Fallzahlen nie überlastet war.

Unser Mann in Washington

Corona, Black Lives Matter, US-Wahl: Langweilig war Jacques Pittelouds (58) erstes Amtsjahr nicht. Seit September 2019 ist er Schweizer Botschafter in den USA. Der Diplomat und Hobby-Ornithologe ist für seinen Humor bekannt, scherzte am WEF über Corona und freute sich öffentlich über ein Video der Trump-Parodistin Sarah Cooper.

Keystone

Corona, Black Lives Matter, US-Wahl: Langweilig war Jacques Pittelouds (58) erstes Amtsjahr nicht. Seit September 2019 ist er Schweizer Botschafter in den USA. Der Diplomat und Hobby-Ornithologe ist für seinen Humor bekannt, scherzte am WEF über Corona und freute sich öffentlich über ein Video der Trump-Parodistin Sarah Cooper.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?