Gestern konnte Boris Johnson endlich verkünden: «Wir werden den Brexit bis zum 31. Januar vollenden – kein Wenn, kein Aber und kein Vielleicht!» Hinter sich hatte der Premierminister die Tür von Downing Street 10, links von ihm stand ein Weihnachtsbaum. Und vor sich hatte er Anhänger, die frenetisch jubelten. Kurz zuvor hatte er sich von der Queen (93) formell die Erlaubnis zur Bildung einer neuen Regierung geholt. «Lasst die Heilung beginnen!», rief er versöhnlich.
Tatsächlich, die Weihnachtsbescherung kommt für Brexit-Boris dieses Jahr früh. 365 der 650 Sitze sicherten sich seine konservativen Tories bei der britischen Parlamentswahl am Donnerstag, rund ein Fünftel mehr als 2017. Es ist ein Erdrutschsieg, der die Spielregeln im festgefahrenen Brexit-Streit ändert. Seine Tories haben selbst die «rote Wand» eingerissen: jenen Gürtel von Sitzen in der einstigen Industrie- und Bergarbeiterregion in Zentral- und Nordengland, die schon seit der Zwischenkriegszeit stets an die Labour-Partei gegangen sind.
Geschafft hat Johnson das mit einer einfachen Botschaft: Den Brexit liefern. Und natürlich mit seiner eigenen Person. Boris, der bunte Hund der britischen Politik, der unberechenbare Polit-Clown, der Populist, der bei den Wählern aber trotz zahlreicher Lügen und Skandale gut ankommt.
Das linke Lager hat krachend verloren. Oppositionsführer Jeremy Corbyn (70) räumt seine Niederlage noch in den Morgenstunden ein. «Das war eine sehr enttäuschende Nacht», schreibt der Labour-Chef auf Twitter. Er werde Anfang des nächsten Jahres seinen Platz an der Parteispitze räumen. Seine betont linke Linie wird jetzt in der Partei bitter kritisiert. Und ein zweites Brexit-Referendum, an das der EU-Skeptiker Corbyn selbst ohnehin nie glaubte, wird es nun nie geben.
Brexit-Deal bis Weihnachten?
Klappt alles, hat Premierminister Boris Johnson bis Heiligabend nicht nur ein neues Kabinett, sondern kann auch um sein EU-Austrittsabkommen ein Schleifchen binden. Am 21. Dezember soll das britische Unterhaus darüber abstimmen. Mit seiner satten Mehrheit muss Johnson, anders als seine Vorgängerin Theresa May, keine Querschüsse aus der Fraktion befürchten. Doch dann fängt die eigentliche Arbeit erst an. Dann muss Brexit-Boris zeigen, ob er liefern kann.
Denn neben Johnsons Deal liegt auch das gefürchtete No-Deal-Szenario unterm Baum. Der Austritt sieht eine Übergangsphase bis Ende 2020 vor. Bis dahin muss Johnson einen Vertrag über die künftigen Beziehungen mit der EU-Staatengemeinschaft aushandeln. Und das Ergebnis muss wieder in London sowie von allen 27 EU-Ländern und dem Europaparlament angenommen werden.
Für Johnson ist der Brexit nur ein Spiel
Eine Mammutaufgabe, für die Johnson eigentlich nur sechs Monate bleiben. Denn zeichnet sich keine Einigung ab, muss er spätestens bis Juli eine Verlängerung beantragen. Sonst droht Ende kommenden Jahres wirklich der No-Deal, der Austritt ohne Regelungen, also die Rückkehr von längst vergessenen Zöllen und Handelsschranken.
Gut möglich also, dass Johnson sich am Brexit ebenso die Zähne ausbeisst wie seine Vorgängerin. Doch das sei Johnson egal, glaubt der St. Galler Historiker Caspar Hirschi: «Johnson will nur drei Dinge: Macht ausüben, seine Gegner erniedrigen und gute Unterhaltung bieten.»
Vielleicht ist das der Grund, warum die überschwänglichsten Glückwünsche aus dem Weissen Haus kamen. «Feiert Boris!», schrieb US-Präsident Donald Trump auf Twitter. Er zeigte sich begeistert von dem «grossartigen Sieg». Grossbritannien und die Vereinigten Staaten seien nun frei für ein Mega-Handelsabkommen, jubelte Trump: «Also ein Deal, der das Potenzial hätte, weitaus grösser und lukrativer zu sein als jeder Deal, der mit der EU geschlossen werden kann.»
Russland-Nähe gefährdet Johnson
Auch der Kreml wirft sich in Position für eine künftige Zusammenarbeit. Er gehe davon aus, dass die gewählten politischen Kräfte sich darauf konzentrierten, «gute Beziehungen zu unserem Land» aufzubauen, sagte Sprecher Dmitri Pesko am Freitag in Moskau. «Ich weiss aber nicht, wie relevant solche Erwartungen für die Konservativen sind.»
Bescheidene Worte dafür, dass wohl einige Rubel aufs Spendenkonto der Tories gerollt waren. Noch steht die Veröffentlichung eines Parlamentsberichts aus, der eine mögliche russische Einmischung in die britische Politik untersuchte – insbesondere beim Brexit-Referendum 2016, bei dem Boris Johnson das Lager der Ausstiegswilligen anführte.
Was genau im Bericht steht, ist unklar. Johnson hatte sich schlicht geweigert, ihn vor den Wahlen zu veröffentlichen. Zu viel Nähe zu Russland könnte ihm allerdings auch nach Weihnachten noch eine böse Überraschung bescheren. Er weiss: Nach dem Wahlsieg ist vor der nächsten Wahl.
Mit Boris Johnsons Sieg ist der Brexit zwar besiegelt, aber die Zitterpartie um den konkreten Deal geht weiter. Das macht auch die Schweiz nervös. Schliesslich ist das Vereinigte Königreich für uns der sechstwichtigste Absatzmarkt, besonders die Finanzindustrien sind eng miteinander verzahnt. Und 34'500 Schweizer leben in Grossbritannien, 43'000 Briten in der Schweiz.
Für den Fall der Fälle hat die Schweiz darum vorgesorgt. «Die Schweiz ist unter den am besten vorbereiteten Ländern», sagt Haig Simonian (64), Vizepräsident der Britisch-Schweizerischen Handelskammer, zu BLICK. «Grossbritannien und die Schweiz haben schon vorgearbeitet, um mögliche Probleme zu vermeiden.»
Mit der sogenannten «Mind the Gap»-Strategie und sieben Abkommen mit Grossbritannien will der Bundesrat bestehende Rechte und Pflichten über den Brexit hinaus erhalten – egal, ob die Briten mit oder ohne Abkommen aus der EU austreten. Somit sollte sich für Schweizer in Grossbritannien und für Schweizer Unternehmen praktisch nichts ändern.
Mit Boris Johnsons Sieg ist der Brexit zwar besiegelt, aber die Zitterpartie um den konkreten Deal geht weiter. Das macht auch die Schweiz nervös. Schliesslich ist das Vereinigte Königreich für uns der sechstwichtigste Absatzmarkt, besonders die Finanzindustrien sind eng miteinander verzahnt. Und 34'500 Schweizer leben in Grossbritannien, 43'000 Briten in der Schweiz.
Für den Fall der Fälle hat die Schweiz darum vorgesorgt. «Die Schweiz ist unter den am besten vorbereiteten Ländern», sagt Haig Simonian (64), Vizepräsident der Britisch-Schweizerischen Handelskammer, zu BLICK. «Grossbritannien und die Schweiz haben schon vorgearbeitet, um mögliche Probleme zu vermeiden.»
Mit der sogenannten «Mind the Gap»-Strategie und sieben Abkommen mit Grossbritannien will der Bundesrat bestehende Rechte und Pflichten über den Brexit hinaus erhalten – egal, ob die Briten mit oder ohne Abkommen aus der EU austreten. Somit sollte sich für Schweizer in Grossbritannien und für Schweizer Unternehmen praktisch nichts ändern.
Die Briten-Wahl hat zwei Sieger: Premierminister Boris Johnson (55) – und die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon (49). Sie legte mit ihrer Schottischen Nationalpartei (SNP) 13 Sitze zu. Insgesamt räumte die SNP 48 der 59 schottischen Wahlkreise ab.
Für die abspaltungswillige Regierungschefin ein klares Signal. Sie will für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum kämpfen. «Boris Johnson hat erstens kein Recht, Schottland aus der EU zu nehmen, und zweitens kein Recht zu verhindern, dass das schottische Volk über seine eigene Zukunft bestimmt», sagte sie am frühen Freitagmorgen in der BBC.
Die Schotten fühlen sich seit dem Brexit-Referendum 2016 veräppelt. Schliesslich hatten die Engländer, Waliser und Nordiren noch zwei Jahre davor, beim Unabhängigkeitsreferendum von 2014, feierlich um ihre Mitbürger geworben. Viele Schotten stimmten damals Nein, weil sie nicht als unabhängiger Staat plötzlich aus der EU raus sein wollten. Und nun will man über ihre Köpfe hinweg das Vereinigte Königreich aus der EU nehmen?
Schottland will trotz Brexit in der EU bleiben
Sturgeon will ihr Land unbedingt in der EU behalten. Schottland geniesst grosszügige Autonomierechte. Das will die Regierungschefin nutzen. «Boris Johnson hat ein Mandat, England aus der EU herauszunehmen, aber er muss akzeptieren, dass ich ein Mandat habe, Schottland die Wahl für eine alternative Zukunft zu lassen.»
Britische Nationalisten gegen schottische Nationalisten: Das ist nun die Lage nur einen Tag nach den Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich. Schon in der nächsten Woche will Sturgeon ein neues Unabhängigkeitsreferendum anschieben. Dafür bräuchte sie allerdings das Einverständnis von London.
Doch Sturgeon akzeptiert das nicht. Die Schotten hätten das Recht, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, sagt sie. «Es ist Sache des schottischen Parlaments, nicht der Regierung im Londoner Westminster, zu sagen, ob und wann es ein neues Referendum geben sollte.»
Kein Zweifel, dass Boris Johnson auch dieses Problem im Auge hatte, als er am Freitagmorgen feierlich versprach, er werde das Land einen. Sonst heisst es für ihn im schlimmsten Fall: Wahl gewonnen, aber das Königreich verloren. – Fabienne Kinzelmann
Die Briten-Wahl hat zwei Sieger: Premierminister Boris Johnson (55) – und die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon (49). Sie legte mit ihrer Schottischen Nationalpartei (SNP) 13 Sitze zu. Insgesamt räumte die SNP 48 der 59 schottischen Wahlkreise ab.
Für die abspaltungswillige Regierungschefin ein klares Signal. Sie will für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum kämpfen. «Boris Johnson hat erstens kein Recht, Schottland aus der EU zu nehmen, und zweitens kein Recht zu verhindern, dass das schottische Volk über seine eigene Zukunft bestimmt», sagte sie am frühen Freitagmorgen in der BBC.
Die Schotten fühlen sich seit dem Brexit-Referendum 2016 veräppelt. Schliesslich hatten die Engländer, Waliser und Nordiren noch zwei Jahre davor, beim Unabhängigkeitsreferendum von 2014, feierlich um ihre Mitbürger geworben. Viele Schotten stimmten damals Nein, weil sie nicht als unabhängiger Staat plötzlich aus der EU raus sein wollten. Und nun will man über ihre Köpfe hinweg das Vereinigte Königreich aus der EU nehmen?
Schottland will trotz Brexit in der EU bleiben
Sturgeon will ihr Land unbedingt in der EU behalten. Schottland geniesst grosszügige Autonomierechte. Das will die Regierungschefin nutzen. «Boris Johnson hat ein Mandat, England aus der EU herauszunehmen, aber er muss akzeptieren, dass ich ein Mandat habe, Schottland die Wahl für eine alternative Zukunft zu lassen.»
Britische Nationalisten gegen schottische Nationalisten: Das ist nun die Lage nur einen Tag nach den Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich. Schon in der nächsten Woche will Sturgeon ein neues Unabhängigkeitsreferendum anschieben. Dafür bräuchte sie allerdings das Einverständnis von London.
Doch Sturgeon akzeptiert das nicht. Die Schotten hätten das Recht, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, sagt sie. «Es ist Sache des schottischen Parlaments, nicht der Regierung im Londoner Westminster, zu sagen, ob und wann es ein neues Referendum geben sollte.»
Kein Zweifel, dass Boris Johnson auch dieses Problem im Auge hatte, als er am Freitagmorgen feierlich versprach, er werde das Land einen. Sonst heisst es für ihn im schlimmsten Fall: Wahl gewonnen, aber das Königreich verloren. – Fabienne Kinzelmann