Die Stimmung ist gereizt am Freitagmorgen. Die Sonne brennt. Der Streik hat grad begonnen. Vor der Lidl-Filiale in Biandrate bei Novara (I) versperren zwei Dutzend Menschen die Zufahrt zum Lager. Sie fordern mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Es ist eine der vielen Aktionen im heutigen nationalen Streik der Logistiker. Viele von ihnen, die vor dem Supermarkt stehen, sind Ausländer. Mittendrin ist auch Adil B.* (†37). Der zweifache Familienvater ist Koordinator der lokalen «Si Cobas»-Gewerkschaft und hat den Streik mitorganisiert.
Ein LKW fährt vor. Die Streikenden lassen ihn nicht passieren. Der Fahrer wird wütend. Er muss seine Ware liefern, sonst verliert er 300 Euro. Die Männer beschimpfen sich gegenseitig. Sie werden immer lauter. Die Wut des Camionneurs kocht über. Er gibt Gas und rast in die Gruppe der Demonstranten. Adil B. gerät unter die Räder. Der gebürtige Marokkaner wird über zehn Meter weit mitgeschleift. Seine Verletzungen sind so schwer, dass er noch vor Ort stirbt. Zwei weitere Kollegen werden touchiert, aber nur leicht verletzt.
Fuhr der Camionneur absichtlich in die Menge?
Der LKW setzt zurück und rauscht davon. Wenig später wird der Fahrer von der Polizei gestellt und aufs Revier nach Novara gebracht. Noch ist nicht geklärt, ob der Mann mit Vorsatz den Gewerkschafter überfuhr oder ob es ein Unfall war. Die Empörung jedenfalls ist gross und der Schock sitzt tief.
«Das, was passierte, ist eine inakzeptable Tragödie», sagt der Generalsekretär der Gewerkschaft «Cgil», Attilio Fasulo. Es gäbe zwei Opfer, der Tote und der LKW-Fahrer. «In diesen Tagen liegt viel Spannung in der Luft.» «Si Cobas»-Gewerkschafter Pape Ndiaye erklärt gegenüber «La Stampa» auch warum: «Dieser Sektor beutet die Menschen aus. Er erpresst sie. Er hält sich an keine Verträge und Sicherheitsmassnahmen», so der Kollege des Toten.
Adil B.* wollte zu seiner Familie nach Marokko
Sogar Italiens Premier meldet sich aus Barcelona zu Wort, wo er gerade einen Preis für seine Europa-Verdienste entgegennahm. «Der Angriff muss unverzüglich aufgeklärt werden», mahnt Mario Draghi gegenüber italienischen Medien. Ein schwacher Trost für Adil B.s Familie. «Adils Ehefrau und die beiden Söhne (4 und 6) sind zurzeit in Marokko. Der Vater sollte in den nächsten Tagen nachkommen», sagt Nachbarin Atika, «jetzt hat ihn jemand umgebracht».
*Name bekannt