Blutiger Freitag – Terror in Tunesien
Der Mörder vom Traumstand

Bei einem Anschlag auf ein Strandhotel in Tunesien tötet der Attentäter Seifeddine Yacoubi mindestens 37 Menschen. Ziel von Yacoubis mörderischem Wahn waren Touristen. Der genaue Ablauf des Verbrechens ist bisher unklar.
Publiziert: 26.06.2015 um 20:54 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2018 um 19:30 Uhr
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Spuren der Attacke vor dem Hotel.
Foto: AFP

Die Strasse ist wie leergefegt. Staubig, brütend unter der Mittagssonne. Und mittendrin schlendert ein junger Mann in schwarzem T-Shirt und schwarzen Shorts. Barfuss geht er von einer Strassenseite zur anderen. In seiner rechten Hand hält er locker eine Kalaschnikow.

Der Mann heisst, gemäss Berichten von gestern Abend, Seifeddine Yacoubi, ist 23 Jahre jung – und hat gerade mindestens 37 Menschen erschossen. Allein, sagt die Polizei.

Wenige Augenblicke nach den Fotos, die ihn über die leere Strasse schlendernd zeigen, wird Yacoubi selber von der Polizei eingeholt und erschossen.

Er bleibt tot am Strassenrand liegen.

Das Massaker, das er anrichtet, schockiert die Welt. Auch weil fast zur gleichen Zeit in Frankreich ein bekennender Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) einen Mann köpft und in Kuwait eine Bombe in einer schiitischen Moschee Dutzende Menschen tötet. Was für ein blutiger Freitag!

Der Terrorangriff in Tunesien trifft die Fünf-Sterne-Hotelanlage Imperial Marhaba in der Küstenstadt Sousse. Neben den 37 Todesopfern werden mindestens 36 Menschen verletzt. Ziel von Yacoubis mörderischem Wahn waren Touristen. Die meisten wurden am Strand erschossen. Auf ihren Liegestühlen. Es trifft vor allem Briten und Deutsche. Bei ihnen ist das von der Tui-Tochter Rui vermittelte Imperial Marhaba besonders beliebt.

Der genaue Ablauf des Verbrechens bleibt den ganzen Tag über unklar. Lange war von mehreren Attentätern die Rede, sogar von Festnahmen. Erst am Abend bestanden die tunesischen Behörden darauf: Der Student Seifeddine Yacoubi habe allein gehandelt.

Er sei am Strand gewesen, als es begann, erzählte der Brite Gary Pine der britischen Zeitung «Daily Mail»: «Als die Kugeln durch die Luft zischten, realisierte ich, dass es sich um einen Beschuss handelte.» Sein Sohn (22) habe gesehen, wie eine Person tot umkippte.

Dann begann die Panik. Hunderte Menschen seien vom Strand geflüchtet, berichtet Gary Pine. «Ich schätze, ich hörte rund 20 oder 30 Schüsse, die einfach aus dem Nichts kamen.»

Die irische Touristin Elizabeth O’Brien war mit ihren beiden Söhnen am Strand, als sie die Schüsse hörte. «Ich dachte erst, es handle sich um ein Feuerwerk», sagte sie dem irischen Sender RTE-Radio. Sie will sogar gesehen haben, wie ein Heissluftballon am Strand kollabierte.

O’Brien lief zum Meer und zog ihre Kinder aus dem Wasser. «Das Hotelpersonal habe gerufen: «Rennt, rennt, rennt!» Und das tat die Irin: Sie lief zum Hotel und versteckte sich mit den Kindern im Hotelzimmer.

Die Berichte darüber, wie die Terroristen in die Hotelanlage vordrangen, sind widersprüchlich. Ein Russe sagte BBC, mehrere Terroristen seien mit einem Schlauchboot gekommen.

Einer habe plötzlich aus einem zusammengefalteten Sonnenschirm ein Gewehr gezogen und auf die Menschen geschossen.

Das passt zum Bericht eines Tunesiers im lokalen Fernsehen: Der Attentäter, «jung, getarnt als Tourist mit T-Shirt, Shorts und Dächlimütze», habe sich am Strand einen zusammengeklappten Sonnenschirm geschnappt – und habe ihn bis in die Lobby des Hotels mitgenommen. «Vorbei an allen Sicherheitsleuten, die ihn für einen Badegast hielten.» Und dort habe der falsche Tourist die ersten Gäste getötet. «Dann ging er weiter zum Pool und wieder bis an den Strand.»

Am Ende lagen überall Tote. In der Lobby, am Pool, im Sand.

Wer war der Mörder wirklich? Gehörte er zum IS? War er wirklich allein oder hatte er doch Komplizen? Immerhin: Aus Sicherheitskreisen hiess es, man habe nach dem Anschlag zahlreiche Sturmgewehre beschlagnahmt.

Tatsache ist: Schon im März erschossen Attentäter 22 Menschen, vor allem Touristen, im Bardo-Museum in Tunis. Die Behörden waren gewarnt (siehe Interview mit Saïda Keller-Messahli). Die furchtbare Tat ist ein schwerer Schlag für Tunesien. Das Städtchen Sousse liegt 140 Kilometer südlich der Hauptstadt Tunis, im Osten am Golf von Hammamet. Eine beliebte Ferienregion. Bereits gestern Nachmittag kursierten erste Fotos von grossen Touristengruppen auf dem Weg ins Stadtzentrum – mit gepackten Koffern im Schlepptau.

Der Terror hatte in Sousse schon im Oktober 2013 begonnen, als sich ein Selbstmordattentäter am Strand in die Luft sprengte. Er starb damals allein, anders als sein Nachfolger Yacoubi gestern.

Und das könnte erst der Anfang sein. Vor wenigen Tagen rief der IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani Radikale in aller Welt dazu auf, im Fastenmonat Ramadan «Ungläubige» zu töten.

Der Ramadan hat am 18. Juni begonnen.

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