Wo auch immer ich hingehe, bekomme ich süssen Tee. Der Luxusgaragen-Chef in Idlib serviert ihn auf einem goldenen Tablett. Das Mädchen im Flüchtlingslager aus einer Thermoskanne. Ich sitze im Staub zwischen den Zelten. Sie reicht mir den Pappbecher, während eine andere Frau ein Kissen unter meinen Hintern schiebt.
Gastfreundschaft ist in Syrien wichtig. Das wusste ich schon vor meiner Reise. Doch das Land kommt gerade aus einem Bürgerkrieg. Fast drei Prozent der Bevölkerung haben ihr Leben verloren. 53 Jahre lang regierte die Assad-Familie. Ein Leben in Angst und Armut – unter der eisernen Diktatur.
Ich komme aus einem reichen und friedlichen Land, trage kein Kopftuch, dafür eine Kamera und Mikrofon. Und ich bin allein hierhergekommen, als junge Frau. Ich habe Misstrauen erwartet, komische Blicke. Häufige Kontrollen meiner Papiere, und dass mir hin und wieder der Zugang verwehrt wird. Gewalt auf den Strassen – Rachelust. In Kriegsgebieten weiss man nie, was einen erwartet.
«War noch ein Mädchen, als die Familie Assad die Herrschaft übernommen hat»
«Komm, ich will, dass du meine Grossmutter kennenlernst», sagt Ahmed (33), der mich als Fahrer und Übersetzer begleitet. Wir haben gerade mit seiner Frau und seiner Tochter zu Mittag gegessen, sitzen auf der Terrasse, wenige Kilometer vor der Stadt Homs. Seine Grossmutter hat Ahmed seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen. Sie ist hiergeblieben, während er nach Idlib geflohen ist.
Sie erzählt: «Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, nachdem drei meiner Söhne im Krieg oder Gefängnis gestorben sind. Als die Rebellen vergangenes Wochenende näherkamen, wurden wir die ganze Nacht bombardiert. Ich war noch ein Mädchen, als die Familie Assad die Herrschaft übernommen hat. Nach so langer Zeit bin ich endlich frei!»
Die erste Nacht in Syrien verbringe ich bei Ahmeds Familie. Ich schlafe in einem Kinderzimmer, unter einem Berg Decken, die Ahmeds Tante über mich gestapelt hat. Von Homs fahren wir weiter Richtung Idlib, wo das islamistische Milizenbündnis Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) seit sieben Jahren herrscht. Unterwegs passieren wir unzählige Geistersiedlungen. Nackte Wände, zwischen denen Zivilisten ihre Zelte aufgeschlagen haben. Mancherorts wärmen sich Menschen am offenen Feuer – umgeben von Kratern und eingestürzten Häusern.
Vor den Städten begrenzen Betonblocks die Durchfahrt. Checkpoints des Assad-Regimes. Die neue Regierung der Rebellen lässt sie bislang nicht besetzen. Einmal müssen wir anhalten. Dann schaut ein Uniformierter zum offenen Fenster rein, sieht mich mit den zwei Männern im Auto sitzen. Ich wühle im Rucksack nach meinem Pass. Doch der Mann hat uns schon durchgewinkt.
«Sag den Leuten in deiner Heimat, dass es uns gut geht»
«Die internationale Gemeinschaft befürchtet, dass Frauenrechte vom HTS eingeschränkt werden. Ich verstehe das. Aber dann frage ich mich: Wo war die internationale Gemeinschaft, als unsere Frauen bombardiert, im Gefängnis gefoltert und von Assads Soldaten missbraucht wurden?», sagt Ahmed.
Frauen in Syrien dürfen Auto fahren, studieren, arbeiten – unter Assad wie auch unter dem HTS in Idlib. Die meisten tragen ein klassisches Kopftuch, manche einen Nikab, also ein Kopftuch mit Schleier vor dem Gesicht. Einige weder noch. Die Männer sind irritiert, wenn ich ihnen meine Hand entgegenstrecke. «Es ist bei uns nicht üblich, einer Frau die Hand zu schütteln», erklärt Mohannad. Die allermeisten, die ich treffe, tun es dann trotzdem.
Die zweite Nacht verbringen wir zu dritt in Mohannads Wohnung. Seine Frau und Kinder sind in Homs – und Ahmed fragt mich immer wieder, ob wir nicht lieber zurückfahren und dort schlafen sollen. Ich verneine, weil es spät ist und ich müde bin. Am folgenden Tag erklärt mir Ahmed: «Ich hatte Angst, dass du dich ohne andere Frauen mit uns nicht sicher fühlen könntest. Aber ich habe mich nicht getraut, das direkt anzusprechen.»
Wir fahren zurück Richtung Damaskus. In der Hauptstadt sind Journalisten aus der ganzen Welt unterwegs. Für die Hinreise von der jordanischen Grenze habe ich 500 Dollar bezahlt. «Abzocke», findet Mohannad. «Es stört mich, wenn Menschen so eine Situation ausnützen, um sich zu bereichern», sagt Ahmed.
Sie bringen mich zurück an die jordanische Grenze. Ahmed bittet mich um einen Gefallen: «Sag den Leuten in deiner Heimat, dass es uns gut geht und wir stark sind. Und dass wir es nicht zulassen, wieder so sehr unterdrückt zu werden.»