Der Offroader rutscht gefährlich über die vereiste Holperpiste irgendwo im stockdunklen Donbass. Draussen toben der Winter und der Krieg. Doch Kateryna Petrenko (26) sitzt seelenruhig auf der Rückbank und erzählt in einem nicht enden wollenden Schwall von ihrem wilden Leben. Das hier? Eisige Strasse, Artillerie-Gedonner, Schlaglöcher? Das ist gar nichts gegenüber dem, was die Ukrainerin bei ihrem Job tagtäglich erlebt.
Petrenko ist die Presseoffizierin der «80. Separaten Galizischen Luftangriffsbrigade», einer Elite-Einheit der ukrainischen Armee, die an der Front im Osten die Russen am Vormarsch hindert. «Seelenretterin» sei sie, sagt die kleine Frau. «Ich rette die Geschichten all derer, die hier sterben und die wir sonst vergessen würden. Ich sorge dafür, dass etwas von ihnen bleibt.»
Das Vergessen-Werden war seit jeher der grösste Feind der Ukraine – neben den russischen Nachbarn, natürlich. «Schon die Sowjets haben versucht, uns unsere Geschichte zu rauben. Jetzt will uns Russland unsere Identität stehlen», sagt Petrenko. Statt wie früher über Mode, Filme und Korruption berichtet sie jetzt deshalb über die Kämpfer an der Front, gefallene Soldaten und neue Helden. Das sei wichtig, gerade jetzt, wo die Ukraine leider wieder in Vergessenheit gerate. «Und vor allem für die Zukunft, damit spätere Generationen nachlesen können, wie wir für sie gekämpft haben.»
Mit roten Fingernägeln an die Front
Kateryna Petrenko selbst hatte eigentlich ganz andere Pläne. Sie hatte Tickets für ein Wochenende in Paris, ihre allererste Reise ins Ausland. Die Fingernägel waren bereits rot lackiert, die Tasche gepackt. Dann erhielt sie einen Anruf: Der Presseoffizier der 80. Brigade sei getötet worden, man brauche Ersatz, sofort.
Statt in den Zug nach Paris stieg Petrenko im November 2022 ins Auto eines Bekannten, zahlte ihm 5000 Griwna (120 Franken) fürs Benzin und liess sich ins frisch befreite Dorf Borova chauffieren. Kein Taxi hätte sie hierhin gebracht, viel zu gefährlich. Petrenko trat an, in olivgrünem Overall und schusssicherer Weste.
Aber die junge Frau bringt nicht nur News und ausländische Besucher zu den Soldaten in den Kommandoposten und in die Kampfgräben entlang der Front, sondern auch eine Prise Leben, einen Tupfer zivile Farbe. «Lächeln, Witze reissen, den Moment geniessen: Das muss man hier. Alles andere bringt doch nichts», erklärt sie dem Blick-Reporter.
Die Umarmungen sind lang – es könnten immer die letzten sein
Die Umarmungen mit den Soldaten in einem Raketenwerfer-Kommandoposten spätnachts sind lang und herzlich. Vielleicht sind es die letzten. Vielleicht sind die warmen Hände der Kämpfer bald kalt und tot, wie so viele, über deren Geschichten Petrenko geschrieben hat. «Es macht meine Arbeit nicht einfacher, dass ich nie weiss, ob meine heutigen Gesprächspartner morgen noch leben», sagt sie.
Kürzlich erhielt Petrenko das Goldene Kreuz, einen hohen Verdienstorden, vom ukrainischen Top-General Waleri Saluschni. Der Krieg wird nicht nur mit Artillerie und Sturmgewehren geführt, sondern auch mit Worten und Storys. An dieser Front gehört Kateryna Petrenko zur ukrainischen Kriegselite.
Ein Gedicht der ukrainischen Autorin Kateryna Kalito begleitet die Presseoffizierin seit Beginn bei ihrer gefährlichen Arbeit. «In dieser gnadenlosen Zeit ist es wie auf stürmischer See, so leicht, sich zu verirren und zu vergessen, wer man ist.» Immerhin: Wer die Menschen waren, denen sie tagtäglich begegnet, das vergisst die Welt dank Petrenko ein bisschen weniger schnell.