Silvester-Feier zwischen Angst und Freude
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Blick in Berlin:Silvester-Feier zwischen Angst und Freude

Blick in der deutschen Hauptstadt
Das Pulverfass Berlin gerade so im Griff

Die mit Spannung erwartete Silvesternacht in Berlin ging vergleichsweise ruhig über die Bühne. 54 Einsatzkräfte der Polizei wurden verletzt. 4000 Uniformierte waren nötig, um die entfesselte Stadt gerade so in den Griff zu kriegen. Wird das die neue Normalität?
Publiziert: 01.01.2024 um 19:27 Uhr
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Aktualisiert: 01.01.2024 um 19:29 Uhr
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Feuerwerk über dem Brandenburger Tor. Berlin begrüsst das Jahr 2024.
Foto: Getty Images

Berlin-Neukölln, 01.30 Uhr am Neujahrsmorgen. Wir Blick-Reporter bleiben wie angewurzelt stehen. Ein paar Meter vor uns liegt eine Feuerwerksrakete und zeigt direkt in unsere Richtung. Das Teil rauscht in einen Hauseingang – ein ohrenbetäubendes Knallen lässt die Ohren klingeln.

Solche Szenen, die für geruhsame Besucher aus der Schweiz völlig bizarr anmuten, sind rundum die Jahreswende in Berlin Alltag. Auf den Strassen flattern die Nerven konstant. Und im Gegensatz zur Schweiz donnert es hier anders. Illegal eingeführte «Polenböller» erinnern mit ihrem Knallen an Handgranaten. Auch am touristischen Alexanderplatz tätscht es vom frühen Silvesterabend bis zum Neujahrsmorgen praktisch im Sekundentakt. «Dit is Berlin», sagt man hier. 

Unvergleichbar sind jedoch die Salven aus Schreckschusspistolen. Männer, auch im gestandenen Alter, stehen auf den Trottoirs, recken die bewaffnete Hand zum Himmel und drücken ab, bis das Magazin leer ist. Diese Waffen sind in Deutschland verboten. Und: Ob es wirklich nur Schreckschusswaffen sind, weiss niemand. 

Rechtsfreie Räume ausgemerzt

Vor einem Jahr herrschte hier ein weitaus schlimmeres Chaos. Einsatzkräfte, auch Ambulanzen und Feuerwehrfahrzeuge wurden mit Pyrotechnik beschossen, beworfen und verletzt. Die Polizei kam nicht mehr nach, war überfordert. Auf den Strassen taten sich rechtsfreie Räume auf. Das Sorgenkind Berlin war einmal mehr international in den Schlagzeilen.

Um den wüsten Szenen vor einem Jahr Herr zu werden, hat die Polizei heuer ein gigantisches Aufgebot in der Hauptstadt aufgefahren. 4000 Polizistinnen und Polizisten, ungefähr ein Viertel aller Polizeikräfte in der Schweiz und doppelt so viele wie beim letzten Jahreswechsel, sollten für Ordnung sorgen und die Chaoten in die Schranken weisen.

In der Silvesterbilanz der Berliner Polizei meldet diese am Montag dann auch: «Einsatzkonzept erfolgreich.» 

Mehr verletzte Einsatzkräfte

Wie erwartet wurden Feuerwehr-, Ambulanz- und Polizeikräfte auch dieses Jahr angegriffen. Die Berliner Polizei meldete am Montagmorgen, dass 54 Polizistinnen und Polizisten in der Silvesternacht verletzt wurden, 30 davon durch Pyrotechnik. Das sind eine Handvoll mehr als letztes Jahr. Ein Polizist liegt mit schweren Verletzungen noch immer im Spital. Knapp 400 Menschen wurden festgenommen.

Lichtblick: Weder bei der Feuerwehr noch bei der Ambulanz wurden Einsatzkräfte verletzt.

«Die wollen nur schaden»

Blick konnte mit böllernden jungen Erwachsenen sprechen. «Ich will keine anderen Personen gefährden. Da passe ich auf», sagt Eko* (22), kurz bevor sein Gspänli eine Rakete locker aus der Hand in den Himmel schiesst.

Ein Taxifahrer und Familienvater wird konkret gegenüber den Chaoten: «Die wollen nur schaden.» Sie bekämen aber auch zu viel mediale Aufmerksamkeit, gibt er zu bedenken. Schliesslich machen die Chaoten nur einen winzigen Prozentsatz der 4-Millionen-Metropole aus. 

Im Gespräch mit Blick wird klar: Berlinerinnen und Berliner möchten nicht einfach hinnehmen, dass Blaulichtorganisationen sich plötzlich im Hagel von Raketen wiederfinden müssen. 

«Bitte greift uns nicht an»

Doch die Aussichten sind nun, ein paar Stunden nach dem Jahreswechsel, durchzogen. Mit fast doppelt so vielen Einsatzkräften hat man das Pulverfass Berlin gerade mal so im Griff. Man möchte sich nicht ausmalen, was Böllerbanden anrichten könnten, organisierten sie sich ein bisschen besser. 

Präventionsmassnahmen und die Art und Weise, mit der die Berliner Einsatzkräfte im Vorfeld des Silvesters den Chaoten nahelegten, sie nicht anzugreifen, haben wohl kaum Gehör gefunden. 

Polizei kann das Problem nicht lösen

Massenhaft Polizei in Kampfmontur und voll besetzte Kastenwagen, die mit Blaulicht durch die Stadt rauschen, das ist schon eher die Sprache, die die Böller-Chaoten verstehen dürften. 

Die Lösung des Problems liegt aber nicht in der Macht der Berliner Polizei, sondern bei der Politik und der Gesellschaft. Werden in Berlin weiterhin Problemquartiere verharmlost und die Bildung von Parallelgesellschaften in Kauf genommen, so dürfte ein Silvester mit weniger als 4000 Polizisten künftig der Vergangenheit angehören.

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