In der Türkei könnte bald ein neuer politischer Wind wehen. Die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan verlor bei der Kommunalwahl am Sonntag in Ankara und Istanbul. Die Republikanische Volkspartei (CHP) fuhr nach Medienberichten in beiden Grossstädten den Sieg ein.
Besonders schmerzt Erdogan offenbar die Wahlschlappe in Istanbul: In der Stadt am Bosporus startete er 1994 als Bürgermeister seine politische Karriere. Zugeben will der Machthaber die bittere AKP-Niederlage nach einem Vierteljahrhundert der Macht jedoch nicht.
Was ist passiert?
Die Wahlbehörde YSK hatte um kurz nach 23 Uhr Ortszeit aufgehört, Wahlergebnisse zu veröffentlichen. Da waren gerade mal 91 Prozent der Stimmen ausgezählt. Die staatliche Nachrichtenagentur AA verkündete dennoch früh einen AKP-Sieg in der Wirtschaftsmetropole. Erdogans mächtiger Innen- und Justizminister flog noch spät in der Nacht nach Istanbul, um sich der Sache persönlich anzunehmen.
Am Montagmorgen dann offenbar die Wendung im Wahlkrimi. Die regierungsnahe Nachrichtenagentur DHA gab den Sieg der Opposition bekannt. Ekrem Imamoglu (49), Kandidat der Mitte-Links-Partei CHP, gewann die Wahl zum Bürgermeister von Istanbul demnach knapp mit 48,8 Prozent der Stimmen. Erdogans AKP-Kandidat und Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim (63) bekam laut der Zählung 48,48 Prozent. Kurz darauf zog die Agentur die Daten jedoch zurück – ohne Begründung. Die Republikanische Volkspartei fürchtet Wahlmanipulation. CHP-Bürgermeisterkandidat Ekrem Imamoglu (49) forderte die Behörden auf, das Ergebnis anzuerkennen.
Seit Montagvormittag sieht auch die türkische Wahlbehörde YSK die Opposition im Rennen um das Bürgermeisteramt in der wichtigen Wirtschaftsmetropole Istanbul vorne – um Haaresbreite. Demnach führte Imamoglu am Montagmorgen mit 27'889 Stimmen vor Yildirim. «Für Ekrem Imamoglu habe ich bisher die (Stimmen-)Zahl 4'159'650. Für Herrn Binali sind 4 131 761 Stimmen im System eingetragen», sagte YSK-Chef Sadi Güven in einem TV-Interview.
Offenbar wollen beide Parteien noch Beschwerden einlegen.
Um was ging es für Erdogan?
Rund 57 Millionen Türken waren am Sonntag aufgerufen, in 81 Provinzen Bürgermeister und Stadtparlamente zu wählen. Doch Erdogan selbst hat die Wahl jedoch zu einem Referendum über seine Regierung erklärt – er sprach von einer «Überlebensfrage».
Erdogan ist finanziell und medial überlegen, er kontrolliert die wichtigsten Nachrichtenagenturen und die Polizei- und Sicherheitskräfte. Dass es in den Metropolen dennoch nicht für einen AKP-Sieg gereicht hat, ist eine bittere Niederlage für den Präsidenten.
Strafen die Wähler Erdogan für die Wirtschaftskrise ab?
Die Wähler sind mit Erdogans Kurs offenbar nicht einverstanden. Viele dürften mit ihrer Stimme für die Opposition auch auf die Wirtschaftskrise im Land reagieren. Die Arbeitslosenquote liegt nach offiziellen Angaben mittlerweile bei 13,5 Prozent. Zugleich ging die türkische Währung auf Talfahrt. Die Inflation stieg innerhalb nur eines Jahres um 20 Prozent. Erdogan macht für die Entwicklung den Westen verantwortlich.
Der drastische Wertverlust der Lira trifft besonders Familien und Einkommensschwache – die Löhne haben sich kaum verändert, Lebensmittel sind aber besonders teuer.
Wie reagierte Erdogan auf die Niederlage?
Erdogan sagte, seine Regierung werde sich nun auf die Umsetzung eines starken Programms für die Wirtschaft konzentrieren. Vor Journalisten gab er sich selbstbewusst: «Wir lagen vorne, so, wie wir immer vorne liegen», sagte er laut «Spiegel Online» am Sonntag in Istanbul.
Wie sieht es im Rest der Türkei aus?
Landesweit blieb die AKP mit zunächst rund 45 Prozent aller ausgezählten Stimmen die stärkste Partei. Doch auch in der Hauptstadt Ankara verlor Erdogans Partei die Bürgermeisterwahl. Nach Auszählung fast aller Stimmen lag Mansur Yavas von der Oppositionspartei CHP mit 50,9 Prozent fast vier Punkte vor dem Kandidaten der AKP.