Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) bleibt weitere fünf Jahre im Amt. Der 69-Jährige entschied am Sonntag eine Stichwahl gegen Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (74) für sich. Erdogan erhielt 52,14 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu 47,86 Prozent, wie die Wahlbehörde nach Auszählung von 99,43 Prozent mitteilte.
Erdogan sei zum 13. Präsidenten der Türkei gewählt worden, sagte der Chef der Behörde Ahmet Yener. Bereits am frühen Abend füllten Erdogans Anhänger die Strassen in türkischen Städten, schwenkten Fahnen und feierten den Wahlsieg.
EU-Spitzenpolitiker gratulieren
EU-Spitzenpolitiker gratulierten Erdogan zur Wiederwahl. «Ich freue mich darauf, die EU-Türkei-Beziehung weiter auszubauen», schrieb EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (64) am Sonntagabend auf Twitter. Es sei sowohl für die EU als auch für die Türkei von strategischer Bedeutung, «diese Beziehungen zum Wohle unserer Völker voranzutreiben».
Auch EU-Ratspräsident Charles Michel (47) sprach Erdogan seine Glückwünsche aus. «Ich freue mich darauf, wieder mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um die EU-Türkei-Beziehungen in den kommenden Jahren zu vertiefen», schrieb er auf Twitter.
Wirtschaftskrise, Inflation, Erdbebenfolgen
Erdogan führt die Türkei seit 20 Jahren. Am Sonntagabend erklärte er, er werde «bis ans Grab» bei seinen Anhängern bleiben. Seit Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor. Befürchtet wird deshalb, dass er nun noch autoritärer regiert. International bedeutet eine Wiederwahl Erdogans weitere fünf Jahre mit einem eigenwilligen Partner.
Erdogan ging als Favorit in die zweite Runde, nachdem er vor zwei Wochen die absolute Mehrheit knapp verpasst hatte. Die Wahl galt dennoch als der härteste Test in Erdogans politischer Karriere bisher. Das Land steckt in einer Wirtschaftskrise, die Währung hat massive Verluste erlitten, die Inflation im Land liegt bei rund 44 Prozent. Der Südosten des Landes kämpft zudem mit den verheerenden Folgen der Erdbeben im Februar.
Kontrolle über die Medien
Dass eine Mehrheit der Krise zum Trotz für Erdogan stimmte, liegt Beobachtern zufolge auch an der Kontrolle der Regierung über die Medien. In einem Interview kurz vor der Wahl etwa erklärte Erdogan, wirtschaftliche Probleme seien eine Mär der Opposition. Diese Aussage wurde nicht hinterfragt. Den Herausforderer Kilicdaroglu versuchte er mit dem Vorwurf der Verbindungen zu Terroristen auszustechen. Die Wahl fand unter grosser Anspannung im Land statt. Während der Abstimmung selbst wurde immer wieder von Angriffen auf Wahlbeobachter berichtet.
Auch Wahlgeschenke in den Wochen vor der Wahl dürften einen Einfluss gehabt haben. «Die Regierung hat Geld ausgegeben als gäbe es kein Morgen. Den Leuten geht es dadurch deutlich besser als noch im letzten Jahr», sagte der politische Analyst Salim Cevik der Deutschen Presse-Agentur.
Weitere Repressalien befürchtet
Im Wahlkampf ging Erdogan die Opposition sowie lesbische, schwule und queere Menschen scharf an. Bei seiner ersten Rede nach der Wahl war auch das eines seiner ersten Themen. Damit dürfte er den Ton für seine erneute Amtszeit setzen.
Den Sieg hat er auch neuen islamistischen Partnern zu verdanken. Die islamischen Hardliner-Parteien werden die künftige Agenda mitprägen. Befürchtet wird, dass sie einen weiteren Rückschritt für die Frauen im Land anstossen könnten.
Erdogan regiert ohnehin mit harter Hand. Die Justiz gilt als stark politisiert, etliche Regierungskritiker sitzen im Gefängnis. Beobachter erwarten, dass Erdogan seinen autoritären Kurs fortsetzen wird. In der ersten Wahlrunde hatte Erdogans Bündnis bereits die Mehrheit im Parlament gewonnen. Die Opposition wird ihm auch dort nicht gefährlich werden.
Wahlkampf mit anti-westlichen Parolen
Die Türkei ist Nato-Mitglied, pflegt enge Beziehungen zu Russland ebenso zur Ukraine, ist Akteurin im syrischen Bürgerkrieg und in vielerlei Hinsicht mit der EU verbunden – kurzum: Wer die Türkei regiert, mischt unmittelbar in der Weltpolitik mit. Erdogan gilt als schwieriger und unzuverlässiger Partner, der häufig opportunistisch agiert. Die Beziehungen zu den USA sind seit Jahren von Konflikten geprägt, den Wahlkampf hat Erdogan mit anti-westlichen Parolen geführt. Die Beziehungen zur EU sind unter anderem wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen und Spannungen beim Thema Migration belastet. Eine neue Präsidentschaft Erdogans verspricht keine Kehrtwende.
Cevik gibt auch der Opposition selbst schuld an ihrer Niederlage: Kilicdaroglu sei nicht früh genug aufgestellt worden. Er habe auch nicht ausreichend gegen die Propaganda der Regierung entgegengehalten.
Beide wollten mit der Flüchtlingsthematik punkten
Der Herausforderer galt vor der ersten Abstimmung am 14. Mai noch als Favorit. Er war Kandidat einer historisch einmaligen Parteien-Allianz und sicherte sich die Unterstützung der prokurdischen HDP. Kilicdaroglu versprach eine Demokratisierung des Landes. Nach der Niederlage in der ersten Runde buhlte er mit deutlich verschärfter Flüchtlingsrhetorik um Stimmen aus dem ultranationalistischen Lager. Den Abstand zu Erdogan, der mit der Unterstützung des drittplatzierten Rechtsaussenkandidaten Sinan Ogan antrat, konnte er nur wenig verringern.
Erdogan will auch weiter nicht von der umstrittenen Niedrigzinspolitik abkehren, die laut Experten mitverantwortlich für die Währungskrise ist. Die Inflation will er auf eine einstellige Zahl reduzieren. Zudem verspricht er Grossinvestitionen in Rüstungs- und Infrastrukturprojekte.
Auch in seinem Wahlkampf war die Flüchtlingspolitik ein zentrales Thema. Erdogans AKP hat ihre Rhetorik unter dem Druck einer zunehmend feindlichen Stimmung im Land verschärft, verspricht Rückführungen und will dazu in Verhandlungen mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad treten. Den Menschen im Erdbebengebiet verspricht er, innerhalb eines Jahres neue Häuser für sie gebaut zu haben.
Türken in der Schweiz wählten Kilicdaroglu
Die Mehrheit der in der Schweiz lebenden Türken wählte den Herausforderer Kilicdaroglu. Präsident Recep Tayyip Erdogan erhielt knapp 43 Prozent der Stimmen.
Vor allem die Stimmen, die in der türkischen Botschaft in Bern sowie dem Konsulat in Zürich abgegeben wurden, gingen mit 65 Prozent, respektive 62 Prozent mehrheitlich an den Herausforderer Kilicdaroglu. Das geht aus den provisorischen Zahlen hervor, welche die türkische Botschaft am Montag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mitteilte. Demnach stimmten im türkischen Konsulat in Genf 62 Prozent für Erdogan. Gegenüber dem ersten Wahlgang kam es bei den wählenden Türken aus der Schweiz nur zu geringen Verschiebungen. Kilicdaroglu büsste einen halben Prozentpunkt ein, Erdogan machte im Vergleich 2,7 Prozentpunkte gut. (SDA/noo/kes)