Bin ich deutsch? Bin ich schweizerisch? Ein Dorf an der Grenze
Der Zwitter

Im grenznahen Büsingen schweizelt es ganz schön stark. Obwohl die Stadt zu Baden-Württemberg und somit zu Deutschland gehört, verläuft der Alltag oft nach schweizerischen Verhältnissen.
Publiziert: 02.09.2015 um 20:54 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:51 Uhr
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Deutsche Strassenschilder, Schweizer Mentalität: In der Gemeinde Büsingen hat alles zwei Seiten.
Foto: Siggi Bucher
Von Michael Gärtner

Läppische drei Kilometer von Schaffhausen entfernt betritt man eine andere Welt: Büsingen. Die 1300 Einwohner zählende deutsche Gemeinde ist die bekannteste Enklave in der Schweiz. Auf dem Papier gehört sie zum deutschen Landkreis Konstanz (Baden-Württemberg). In ihrer Mentalität ähneln die Bewohner aber stark uns Schweizern.

Die Gemeinde ist ein Zwitter: Die Strassenschilder sind mit dem deutschen Eszett beschriftet, aber Bushaltestellen tragen Namen wie «Schiffländi». Im Lottoladen gibt es Lose von Lotto Baden-Württemberg. Die kann man in Euro bezahlen  – und bekommt das Retourgeld in Franken. Und der örtliche Fussballverein FC Büsingen ist der einzige deutsche Verein, der dem Schweizer Fussballverband angeschlossen ist.

Die Zwiespältigkeit zieht sich durch den ganzen Alltag. Besonders auffällig ist das beim Telefonnetz. Auf dem Platz vor der Gemeindeverwaltung sind zwei Telefonzellen aufgestellt. Eine betreibt die Swisscom, die andere die Deutsche Telekom.

Beim Handynetz haben die Büsinger ebenfalls die Qual der Wahl und können unter sechs Anbietern auswählen: Sunrise, O2.de, Telekom.de, Salt, Swisscom und Vodafone.de. Damit nicht genug: Auch zwei Festnetz-Vorwahlen hat die kleine Gemeinde.

Im öffentlichen Leben ist die Situation mitunter geradezu absurd: Für Ordnung sorgt die deutsche Polizei – aber nicht nur. Ein Staatsvertrag aus dem Jahr 1967 regelt, welche Vergehen in Büsingen von deutschen und welche von Schweizer Beamten bearbeitet werden müssen.

Die meisten Büsinger verdienen ihren Lebensunterhalt in der Schweiz. Ihre Löhne aber müssen sie nach dem rigideren deutschen Recht versteuern. Das führt zu Ärger und Verstimmung. Die Bürgerinitiative­Büsingen nimmt sich nun des Problems an und fordert die Einwohner per Aushang auf, sich Mitte September in einer öffentlichen Sitzung an der Diskussion zu beteiligen.

Selbst die kleinen Büsinger sind hin- und hergerissen: Die Kinder gehen im Dorf in die Primarschule, weiterführende Schulen aber gibt es nur in der Schweiz. Dorthin gehen denn auch die meisten für ihre Ausbildung oder ein Studium – und bleiben oft gleich dort.

Im Gegenzug zügeln viele Schweizer Rentnerinnen und Rentner nach Büsingen. In Deutschland wird ihre Rente nur teilweise besteuert. Kürzlich schlug der Satiriker Viktor Giacobbo vor, Deutschland zum 27. Kanton der Schweiz zu machen. Für die meisten Büsinger würde damit ein lang gehegter Traum endlich in Erfüllung gehen.

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