Er hofft auf ein Comeback. Der ehemalige Premier Benjamin Netanyahu (73) – auch «Bibi» genannt – will in Israel wieder an die Spitze der Macht. Doch kann der rechte Politiker es schaffen? Schliesslich ist er immer noch der Mann, der wegen Korruption angeklagt ist, der gut mit dem stark kritisierten russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) kann und der darüber hinaus mit dem umstrittenen Ex-US-Präsidenten Donald Trump (76) befreundet ist.
Die Parlamentswahlen sind am Dienstag. Laut aktuellem Umfragen könnte Netanyahus Likud-Partei tatsächlich erneut die stärkste Kraft in der Knesset werden, dem israelischen Parlament – sein Block könnte rund 60 der 120 Sitze bekommen. Damit gäbe es eine Patt-Situation mit dem gegnerischen Lager des aktuellen Ministerpräsidenten Jair Lapid (58), das aus Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum besteht.
«Eine Koalition ist nötig»
Islam-Experte Reinhard Schulze (69) sagt: «Das Rennen ist definitiv offen.» Allerdings würden die Umfragen auf eine weitere Verschiebung des politischen Spektrums nach rechts hindeuten. «Netanyahus Chancen auf eine erneute Regierungsbildung bleiben so intakt, allerdings wird er, um gewählt zu werden, auch mit den rechtsextremen Gruppierungen der religiösen Zionisten und zumindest mit der ultraorthodoxen Schas-Partei koalieren müssen.»
Das ist auch für Israel-Experte Peter Lintl (41) ein mögliches Szenario. «Netanyahu hat grössere Chancen, gewählt zu werden.» Auch Neuwahlen und eine Patt-Situation seien indes gut denkbar. Wäre Netanyahu wieder Premier, so Lintl, würden wohl als Erstes die Anklagen gegen ihn für nichtig erklärt. «Zudem würde vermutlich die Gewaltenteilung gelockert.» Etwa dahingehend, dass auch das Parlament über juristische Fragen befinden könne. Und: «Der Palästina-Konflikt würde wahrscheinlich verschärft.»
«Lapid ohne klare Linie»
Schulze: «Lapid von der liberalen Jesch Atid müsste ein komplexes Bündnis schmieden.» Vor allem müsste er die Vereinigte Arabische Liste Ra’am überzeugen, sich wieder an der Regierungsbildung zu beteiligen. Die arabische Minderheit macht etwa zwanzig Prozent der 9,4 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Israel aus. «Doch die bestehende Koalition aus acht Parteien und Parteibündnissen dürfte es schwer haben, eine überzeugende gemeinsame Linie zu entwickeln.» Dies auch, weil sich der liberale Lapid eher nach rechts orientiere.
Was heisst das für den nahen Iran, wo die Proteste nach Mahsa Aminis (22) Tod anhalten? «Die Wahlen werden sicherlich genau beobachtet», sagt Schulze. Allerdings dürfte das Regime davon ausgehen, dass beide Regierungen gegen paramilitärische Organisationen zum Beispiel in Syrien vorgehen würden. «Für die systemkritische Opposition wäre ein Sieg Netanyahus eher eine Belastung, da eine weitere Verschärfung der Palästina-Politik die Legitimität des iranischen Regimes, das sich besonders als Sachwalter der Interessen Palästinas berufen fühlt, stärken könnte.»