Frankreich kommt nicht zur Ruhe: In einer Kirche nehmen zwei islamistische Angreifer Geiseln und töten den Priester. Präsident François Hollande spricht von einem neuen Terroranschlag. Der Priester sei von zwei Terroristen ermordet worden, die sich auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) berufen hätten, sagte Hollande am Dienstag bei einem Besuch am Tatort in der Nähe von Rouen in der Normandie.
Wenig später verkündete auch das IS-Sprachrohr Amak, die Täter seien «Soldaten des IS» gewesen. Sie seien dem Aufruf gefolgt, «die Staaten der Kreuzfahrer-Koalition» anzugreifen. Frankreich gehört zu einer internationalen Allianz, die gegen die sunnitischen Fanatiker vom so genannten Islamischen Staat (IS) kämpft.
Nonne: «Sie zwangen den Priester in die Knie»
Die Angreifer waren am Dienstagvormittag während eines Gottesdienstes in die Kirche in Saint-Étienne-du-Rouvray eingedrungen und hatten fünf Geiseln genommen. Sie töteten den 84-jährigen Priester. Eine weitere Geisel wurde sehr schwer verletzt, war aber am Abend ausser Lebensgefahr.
Eine Ordensschwester hat die Geiselnahme in einer nordfranzösischen Kirche miterlebt und die dramatischen Szenen geschildert: «Als ich sie habe reinkommen sehen, habe ich mir gesagt: 'Das war's, es ist zu Ende», sagte Schwester Danielle, die während der Geiselnahme entkommen konnte, am Dienstag dem Fernsehsender «France 2».
Der Priester habe vor dem Altar gestanden, als die beiden Männer in die Saint-Etienne-Kirche im nahe Rouen gelegenen Saint-Etienne-du-Rouvray eingedrungen seien. «Sie haben ihn gezwungen, auf die Knie zu gehen und sich nicht mehr zu bewegen», sagte Schwester Danielle.
«Als wir das Messer in der rechten Hand eines Angreifers gesehen haben, habe ich mir gesagt: 'Ok, es ist sicher, dass jetzt etwas passieren wird.'»
In der Kirche hätten die Menschen geschrien: «Hört auf, ihr wisst nicht, was ihr tut, hört auf, hört auf», berichtete die Schwester im Radiosender RMC. «Er hat versucht, sich zu wehren», sagte sie. Er habe keine Chance gehabt.
Die Männer hätten sich auf Arabisch an die Geiseln gewandt. «Sie haben am Altar so eine Art Predigt auf Arabisch gehalten», sagte die Schwester. «Es ist ein Horror.» Ausserdem hätten die Angreifer ihre Tat gefilmt.
Schwester Danielle selbst konnte fliehen, bevor der Priester ermordet wurde und Alarm schlagen.
Messer, Pistole und Sprengstoff-Attrappe
Die Polizei erschoss die beiden Täter, als sie das Gotteshaus verliessen. Die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen.
Die beiden Angreifer trugen laut Staatsanwaltschaft Sprengstoffattrappen, Messer und eine Pistole bei sich. Beim Verlassen der Kirche hätten sie sich mit dem arabischen Ruf «Allahu akbar» (»Gott ist grösser") auf die Sicherheitskräfte gestürzt, sagte der Pariser Staatsanwalt François Molins am Dienstagabend. Einer der beiden Täter habe eine Schusswaffe dabei gehabt.
Einer der Täter trug laut Molins einen falschen Sprengstoffgürtel aus Aluminiumfolie um den Bauch und hatte drei Messer dabei. Sein Komplize hielt eine mit Aluminiumfolie umwickelte Küchenuhr in der Hand. In seinem Rucksack fand die Polizei demnach eine Sprengstoffattrappe.
Terrorist wurde 2015 in Genf festgenommen
Einer der beiden Angreifer war erst 19 Jahre alt und sei im März 1997 in Mont-Saint-Aignan nahe der Stadt Rouen geboren worden, sagte Molins. Der zweite Angreifer wurde bislang nicht formell identifiziert.
Molins bestätigte vorherige Ermittlerangaben, wonach der 19-Jährige im vergangenen Jahr zwei Mal versuchte, nach Syrien zu reisen. Er wurde beide Male vorher festgenommen, das erste Mal in Deutschland, beim zweiten Versuch in der Türkei.
Er wurde nach seiner Rückkehr im Mai 2015 zuerst in Genf festgenommen und dann - nach seiner Überstellung - in Frankreich in Untersuchungshaft genommen, kam aber unter strengen Auflagen mit einer elektronischen Fussfessel wieder frei. Die Fussfessel war während zum Tatzeitpunkt aber wie jeden Morgen deaktiviert gewesen, wie Molins sagt.
Die Zeitung «La Tribune de Genève» meldete, dass der 19-Jährige einige Tage im Gefängnis Champ-Dollon gesessen hat, was das Bundesamt für Justiz in Bern nicht bestätigte - lediglich, dass ein Franzose nach seiner Festnahme nach Frankreich überstellt worden sei.
Im Zuge der Ermittlungen wurde am Dienstagnachmittag in Frankreich ein Minderjähriger in Polizeigewahrsam genommen. Der in Algerien geborene 16-Jährige sei der jüngere Bruder einer Person, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werde, sagte der Pariser Staatsanwalt Molins.
Hollande: «Schändung der Republik»
Präsident Hollande bezeichnete den Anschlag als «neue Bewährungsprobe für die Nation». «Eine Kirche anzugreifen, einen Priester zu töten, das ist eine Schändung der Republik, die die Gewissensfreiheit garantiert», sagte der Staatschef am Dienstagabend in einer im Fernsehen übertragenen Erklärung im Pariser Élyséepalast, seinem Amtssitz.
Hollande rief das Land zur Einheit auf. «Was die Terroristen wollen, ist uns zu spalten», betonte Hollande. Die Regierung werde die in den vergangenen Monaten verschärften Anti-Terror-Gesetze voll anwenden.
Premierminister Valls sprach von einem «Krieg der Religionen». Das Ziel des Anschlags war seiner Ansicht genau das. «Wenn sie einen Priester angreifen, die katholische Kirche, dann sieht man gut, was das Ziel ist», sagte Valls am Dienstagabend in einem Interview des Senders TF1.
«Die Franzosen gegeneinander aufhetzen. Eine Religion angreifen, um einen Krieg der Religionen zu provozieren», sagte Valls weiter und rief die Franzosen auf, zusammenzustehen. «Unsere Antwort ist die Demokratie.»