Von der Hamas infiltrierte Hilfsorganisation?
Israel hat keine Beweise für Vorwürfe an UNRWA vorgelegt

Immer wieder ist die für palästinensische Flüchtlinge verantwortliche Hilfsorganisation der Vereinten Nationen in den vergangenen Monaten unter Druck geraten. Nun zeigt ein Bericht: Für die schweren Vorwürfe gegen die UNRWA reichte Israel keine Beweise ein.
Publiziert: 22.04.2024 um 19:16 Uhr
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Aktualisiert: 23.04.2024 um 22:01 Uhr
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Der UNRWA-Untersuchungsbericht liegt vor.
Foto: UN
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Melissa MüllerRedaktorin News

Das Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) bietet Millionen von Palästinensern Bildung, Gesundheitsversorgung, Nothilfe und mehr. Alleine im Gazastreifen gibt es 180 UNRWA-Schulen. Weitere 22 Gesundheitszentren werden von dem Hilfswerk betrieben. Praktisch die gesamte Infrastruktur in Gaza baut auf der UNRWA auf. 

In den letzten Monaten geriet die Hilfsorganisation allerdings in erhebliche Schwierigkeiten. Dutzende westliche Staaten stellten ihre Zahlungen ein. Während einige Länder die dringend benötigten Zahlungen inzwischen wiederhergestellt haben, bleiben die 20 Millionen Franken, die 2024 von der Schweiz an das Hilfswerk gehen sollten, eingefroren. 

Schwere Vorwürfe Israels

Grund für den Zahlungsstopp waren israelische Vorwürfe, für die es keine Beweise gab. Ende Januar gab Israel an, dass 12 der insgesamt 13'000 in Gaza beschäftigten UNRWA-Mitarbeiter am Hamas-Angriff vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen. Anfang Februar sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zudem, dass das Hilfswerk «total von der Hamas infiltriert» sei – auch dies, ohne Beweise zu liefern. 

Mitte Februar hiess es dann, das UNRWA-Hauptquartier werde von der Hamas als Militärbasis genutzt. Auch hier fehlten standfeste Beweise. Israel forderte dennoch die Suspendierung der UNRWA und deren Ersatz durch ein neues Hilfswerk.

«Höheren Neutralitätsstandard als andere NGO-Organisationen»

Der schweizerisch-italienische Diplomat Philippe Lazzarini (60), welcher die UNRWA seit 2020 leitet, suspendierte die von den Vorwürfen betroffenen Mitarbeiter umgehend. Zudem leitete er zwei unabhängige Untersuchungen ein. Eine für die Vorwürfe gegen die einzelnen Mitarbeiter, und eine, die sich die von Israel vorgeworfene, systematische «Hamas-Infiltrierung» innerhalb der Organisation anschaut.

Letzterer Untersuchungsbericht, welcher von der ehemaligen französischen Aussenministerin Catherine Colonna (68) verfasste wurde, wurde am Montag veröffentlicht. Ein Sprecher des Generalsekretärs betonte vor Journalisten: «Der Bericht enthält klare Empfehlungen, die der Generalsekretär alle akzeptiert.» 

Anschliessend sprach Colonna. Gleich zu Beginn stellte sie fest, dass die UNRWA eine «unersetzliche Rolle» spielt. Dann betonte sie: «Insgesamt kommt die Überprüfung zu dem Ergebnis, dass UNRWA über zahlreiche Mechanismen zur Wahrung der Neutralität verfügt. Sie haben wahrscheinlich einen höheren Neutralitätsstandard als andere NGO-Organisationen.» Israel selbst habe gemäss Colonna «keine Beweise für die UNRWA-Vorwürfe vorgelegt» – trotz mehrfacher Anfragen.

Raum für Verbesserung

Dennoch gebe es einige Probleme mit der Neutralität. Dazu gehörten politische Äusserungen von Mitarbeitern, Schulbücher mit problematischen Inhalten und Drohungen von politischen Gewerkschaften gegenüber der Organisationsleitung. «Es kam vor, dass UNRWA-Einrichtungen manchmal missbräuchlich von politischen Gruppen als militärische oder politische Stützpunkte genutzt wurden», sagte Colonna. Um dies künftig zu verhindern, solle es mehr Kontrollen geben. Weitergehend bräuchte es «mehr leitendes internationales Personal in Positionen vor Ort.» 

Insgesamt gebe es gemäss Colonna rund 50 Empfehlungen. «Ich bin zuversichtlich, dass sie der UNRWA helfen werden, ihre Arbeit fortzusetzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch die Mitgliedsstaaten der UNRWA bei der Umsetzung dieser Punkte helfen müssen. Die Finanzierung der Organisation ist eine grundlegende Notwendigkeit.»

Lazzarini: Vorwürfe waren «heimtückische Kampagne»

Für Lazzarini sind die Resultate des Berichts ein lang erwarteter Erfolg. Ende Januar betonte er, dass die Zahlungsstopps grosse Schwierigkeiten mit sich brachten: «Unsere humanitäre Hilfe, von der die Existenz von zwei Millionen Menschen in Gaza abhängt, bricht zusammen.» 

Lazzarini bezeichnete die zahlreichen Untermauerungsversuche Israels am Mittwoch zudem als «heimtückische Kampagne zur Beendigung der UNRWA-Operationen». Weitergehend sagte er: «Bei den Forderungen nach einer Schliessung der UNRWA geht es nicht um die Einhaltung humanitärer Grundsätze, sondern darum, den Flüchtlingsstatus von Millionen Palästinensern zu beenden.»

Hintergrund: Das Uno-Hilfswerk wurde 1949 gegründet – also kurz nach der Staatsgründung Israels und der damit verbundenen, gewaltvollen Vertreibung von über 700'000 Palästinensern. Die Aufgabe der UNRWA bestand darin, als vorübergehende Lösung zur Unterstützung der vertriebenen Palästinenser zu fungieren. Die UNRWA verfügt somit über die Namen der damals vertriebenen Flüchtlinge und deren Verwandten und verwaltet als einzige Instanz ihren Flüchtlingsstatus.

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