Polens Parlament hat den früheren Oppositionsführer Donald Tusk (66) zum künftigen Regierungschef bestimmt. Für den Chef der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) stimmten am Montag 248 der 449 anwesenden Abgeordneten. Damit vollzieht sich knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl der Machtwechsel in Warschau. Zuvor war der nationalkonservative amtierende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (55) mit der Vertrauensfrage für seine neue PiS-Regierung im Parlament gescheitert. Tusk will sein Kabinett am Dienstag vorstellen.
Noch am Morgen vor seinem sicheren Scheitern im Parlament hatte Morawiecki in seiner mehr als einstündigen Regierungserklärung ein rosiges Bild von Polens Zukunft im Kreis der führenden Länder der Weltwirtschaft gezeichnet. Anschliessend befragten ihn die PiS-Abgeordneten ausgiebig zum «Programm einer Regierung, die es nie geben wird», wie der Fernsehsender TVN kommentierte. Die PiS tat bis zuletzt so, als könne sie einfach weiterregieren. In zwei Sälen eines Warschauer Grosskinos wurde die unterhaltsame Parlamentssitzung sogar live übertragen – die Zuschauer verfolgten das absurde Theater bei Popcorn und Cola.
Bei der Wahl am 15. Oktober hatten drei proeuropäische Parteien der bisherigen Opposition unter Führung des ehemaligen EU-Ratsvorsitzenden Tusk eine klare Mehrheit von 248 der insgesamt 460 Sitze im Sejm errungen. Ein Koalitionsvertrag wurde bereits vor Wochen unterschrieben, auch die Ressortverteilung ist geklärt. Die frühere Regierungspartei PiS wurde zwar stärkste Fraktion, verfehlte aber die absolute Mehrheit.
Vereidigung am Mittwoch
Trotz dieser Mehrheitsverhältnisse hatte Präsident Andrzej Duda (51), der aus den Reihen der PiS stammt, Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragt und dessen Kabinett Ende November vereidigt. Die von Beginn an chancenlose Regierung blieb zwei Wochen im Amt.
Nun ist Tusk am Zug. Der Danziger will sein Kabinett am Dienstag präsentieren und seinerseits eine Regierungserklärung abgeben. Danach muss er die Vertrauensfrage stellen. Da er sich auf eine solide Mehrheit stützen kann, wird er sie höchstwahrscheinlich bestehen. Voraussichtlich am Mittwoch will Präsident Duda die neue Regierung vereidigen.
Tusk war schon von 2007 bis 2014 Polens Regierungschef. Bereits Ende der Woche will er nach Brüssel zu einem EU-Gipfel fliegen, wo es um weitere Hilfe für die Ukraine geht.
Wird Duda zum Bremser?
Aber auch viele polnische Bürger haben hohe Erwartungen an ihre neue Regierung. Die PiS verärgerte viele Menschen mit der Verschärfung des Abtreibungsrechts – das neue Dreierbündnis will die Gesetzgebung wieder liberalisieren. Tusk hat zudem bereits den völligen Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angekündigt, den die PiS vollkommen unverhohlen zu ihrem Propagandaorgan gemacht hatte. Dies betrifft vor allem den Fernsehsender TVP.
Bei allem Drang zur Veränderung wird sich Tusk auch mit dem Problem der Kohabitation herumschlagen müssen. Präsident Duda kann viele Reformvorstösse bremsen. Und er hat in den vergangenen Wochen mehr als deutlich gemacht, dass die von der Verfassung für das Staatsoberhaupt vorgeschriebene Parteilosigkeit für ihn nur eine Formalie ist.(SDA)