Sharon Machira ist selbst im Video-Interview eine Wahnsinnserscheinung. Ein offenes Lachen, eine gelbe Jacke, die langen, silberfarbenen Rastazöpfe hängen in die Frontkamera ihres Smartphones. «An meinen Haaren ändere ich alle drei Wochen was», sagt die 27-jährige BBC-Moderatorin. «Mal trage ich eine Perücke. Dann wieder Afro.» Das sei typisch afrikanisch an ihr. Früher war sie sich ihrer Identität wenig bewusst. «Ich konnte auf der Karte nicht mal zeigen, wo Mali liegt ... Vermutlich kann ichs immer noch nicht.» Understatement natürlich: Schliesslich moderiert die Kenianerin aktuell eine der wichtigsten Sendungen über den Kontinent.
Wie behalten Sie den Überblick über 54 Länder und 1,2 Milliarden Menschen?
Sharon Machira: Ah, das ist eben das Schöne an der BBC! Wir haben Redaktionsbüros im Osten, Westen und in Südafrika. Und überall freie Journalisten und sogenannte Fixer, oft lokale Journalisten. Wir sind also tatsächlich in der Lage, von allen Ecken des Kontinents Informationen zu beschaffen.
Die erwartete Corona-Katastrophe blieb in Afrika bislang aus. Fängt Corona dort gerade erst an – oder ist Afrika seuchenerprobt?
Wir sind vor allem weit vom Epizentrum entfernt. Also hatten wir etwas Vorsprung. Und wir haben gesehen, was passiert, wenn man nicht so schnell wie möglich einen Lockdown einführt. Unsere Gesundheitssysteme sind eh schon schwach – wir müssen HIV, Ebola und alle möglichen chronischen Erkrankungen bekämpfen. Zustände wie in Italien hätten wir nicht verkraftet.
Also schnell in den Lockdown?
Tatsächlich hatte nur Südafrika einen kompletten Lockdown mit Ausgangssperre. In Kenia, wo ich lebe, hatten wir einen Teil-Lockdown, da durfte man sein Haus nach 19 Uhr nicht mehr verlassen. Tagsüber müssen die Leute ihr täglich Brot verdienen. Etwa 40 Prozent arbeiten im informellen Sektor. Wenn man die Leute davon abhält, tötet man sie schneller, als Corona das könnte.
Hat Afrika die erste Welle überstanden?
Ganz ehrlich? Wir wissen nicht, ob sie schon da war. Oder noch kommt. In Kenia testen wir gerade mal tausend Menschen am Tag. Wir könnten den Höhepunkt gestern erreicht haben und würden es nicht wissen. Wir könnten gerade mitten drin sein. Aber wir wissen es einfach nicht, weil uns belastbare Daten fehlen. Und das gilt für den gesamten Kontinent.
Wie setzt man einen Lockdown im Slum um?
Da funktioniert definitiv nicht. Dieses Virus ist was für Reiche. Klar kann ein Land wie Südafrika mit Überwachungskameras schauen, dass die Leute zu Hause bleiben – und die wirtschaftlichen Folgen abfangen. Aber versuch das mal in Uganda. Oder in Burundi. Die haben letzte Wochen sogar Wahlen abgehalten. «Ich kann mir das Virus nicht leisten» – das denken sich viele hier. Die Anweisung, zu Hause zu bleiben, ist einfach so elitär. Und sehr westlich. Also verschliessen viele der Slumbewohner einfach die Augen vor dem Problem. Welche andere Option haben sie auch?
Und in den Städten – nehmen die Menschen Social Distancing ernst?
Am Anfang waren alle paranoid. Es gab keine offiziellen Informationen, also waren lieber alle übervorsichtig. Das hat sich geändert, seit es überall Informationen gibt. Die Menschen haben das Gefühl, sie verstehen, was passiert. Soziale Distanzierung gibts eher nicht, aber dafür viel Desinfektion. Und alle tragen Masken. Gut, das vor allem, weil die Polizei dir sonst den Hintern aufreisst.
«Wir hätten dich nie in England studieren lassen sollen!», schimpften Sharon Machiras (27) Eltern, als sie unverheiratet mit ihrem Freund zusammenzog. Zum Glück haben sie es doch gemacht: In Leeds studierte Machira erst Internationale Beziehungen und Entwicklung, an der City University in London machte sie einen Master in Journalismus. Seit 2018 arbeitet sie für BBC Africa in Nairobi (Kenia), wo sie aktuell «The Breakdown» moderiert – eine wöchentliche Sendung über die Auswirkungen der Pandemie auf dem Kontinent. «Meine Mama fragt aber immer noch, wie viel mein Freund als Mitgift zahlt.» Machira grinst: «Wegen meiner Ausbildung wäre ich glaub ziemlich teuer.»
«Wir hätten dich nie in England studieren lassen sollen!», schimpften Sharon Machiras (27) Eltern, als sie unverheiratet mit ihrem Freund zusammenzog. Zum Glück haben sie es doch gemacht: In Leeds studierte Machira erst Internationale Beziehungen und Entwicklung, an der City University in London machte sie einen Master in Journalismus. Seit 2018 arbeitet sie für BBC Africa in Nairobi (Kenia), wo sie aktuell «The Breakdown» moderiert – eine wöchentliche Sendung über die Auswirkungen der Pandemie auf dem Kontinent. «Meine Mama fragt aber immer noch, wie viel mein Freund als Mitgift zahlt.» Machira grinst: «Wegen meiner Ausbildung wäre ich glaub ziemlich teuer.»
In Ihrer Sendung schauen Sie auch auf einzelne Industrien, etwa Musik oder Sport. Welchen Wirtschaftsbereich hat Corona in Afrika besonders schwer getroffen?
Die Reiseindustrie. In Kenia macht sie 28 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts aus. Und so viele andere Wirtschaftsbereiche hängen davon ab, dass hier regelmässig Flieger landen. Mit den stillstehenden Flughäfen schlossen auch die Hotels. Als ehemalige Reisebloggerin bricht mir das das Herz. Wir haben so tolle Orte, Strände, die Masai Mara. Lokaler Tourismus fing gerade an, ein Ding zu werden – und plötzlich durften die Kenianer nicht mal mehr aus der eigenen Stadt raus.
Welches Land hat Corona am besten gemeistert?
Ruanda vielleicht. Die Abgeordneten haben ihre Gehälter reduziert, um mit dem Geld die Wirtschaft anzukurbeln. Wegen der Krise freigestellte Arbeitnehmer durften nicht gefeuert werden. Ein sehr menschlicher Ansatz, um das Wohl der Bevölkerung sicherzustellen. Aber bei quasi fünf Einwohnern ist das auch nicht schwer.
12 Millionen.
Ich sag ja: klein! Sie haben das toll gemacht, aber in Nigeria wäre das unmöglich. Und ernsthaft, ich war da: Ruanda ist sooo langweilig. Alles ist so sicher da. Die machen gefühlt nie was falsch. Das Land gibt sich als der nette Cousin, der immer politisch korrekt ist, während der Rest der Familie eher auf Drama steht.
Welches Land darf dann beim nächsten Familienfest nicht mehr am Tisch sitzen, weil es die Corona-Krise echt verschlafen hat?
Madagaskar. Dort gab es so viele falsche Informationen. Die Regierung hat sogar behauptet, eine «Heilung» für Corona zu haben. Eine Art Kräutertee. Sie haben darauf bestanden, dass das hilft. Das ist so gefährlich. Stellen Sie sich nur vor, wie eine Regierung Millionen verzweifelter Afrikaner verspricht, ein Gegenmittel zu haben.
Waren Fake News generell ein Problem?
Oh, ja. Wir Afrikaner sind so viel in sozialen Netzwerken. Selbst unsere Tanten und Mütter schicken so verrückte Nachrichten rum: «Wenn du das nicht an zehn Freunde weiterleitest, gibt dir Jesus das Coronavirus, und du stirbst.» Es gibt wirklich viele, die das Virus für eine Strafe Gottes halten, gegen die man betet und seine Sünden beichtet. Und dann gab es kurz vor dem Lockdown noch diese Heuschreckenplage in Ostafrika … Sie kennen die zehn Plagen in der Bibel? Als die Pandemie kam, sind die Christen ausgerastet, weil sie dachten: Das ist es jetzt. Das Ende der Welt.
China, von wo das Virus eigentlich kam, baut seinen Einfluss in Afrika massiv aus.
Ja, ich fahre jeden Tag auf Strassen, die die Chinesen gebaut haben.
Haben sie Afrika in der Krise geholfen?
Nicht mal ansatzweise. Was wir mit den Chinesen haben, ist eher eine toxische Beziehung. Sie geben uns Kredite für Infrastruktur – eine Menge Autobahnen wurden mit Hilfe der chinesischen Regierung gebaut. Aber als Corona in China ausbrach, haben sie viele Afrikaner unter dem Vorwand von Quarantäne aus ihrem Land geschmissen. Das war blanker Rassismus. Wenn Chinesen hier ein Restaurant eröffnen, hängen sie oft ein Schild dran, dass Afrikaner nicht willkommen sind.
Und Masken – wie etwa nach Europa – haben sie auch nicht geschickt?
Nö. Das ist denen doch egal, was mit uns ist. Und wir würden die Chinesen auch nicht um Spenden bitten. Die wollen hier Geld machen, Geschäfte. Die wollen uns nicht helfen, wenn wir nicht dafür bezahlen.
Letzte Frage: Was kann die Schweiz von Afrika lernen?
Mein Freund ist Franzose, und meine Chefs sitzen alle in London. Ich bekomme also mit, was für eine Panik in Europa herrscht. Das liegt aber auch daran, dass Europa in dieser wunderschönen Blase der Perfektion lebt, wo alles immer super ist. Und dann braucht es nur ein Virus, um einen voll entwickelten Teil der Welt zum Erliegen zu bringen. Und damit möchte ich nicht relativieren, wie viele Menschen gestorben sind! Aber Europa könnte echt ein bisschen tougher werden. Ihr habt uns echt was eingebrockt – von der Kolonialisierung bis zur Armut. Und irgendwo in diesem Chaos sind wir widerstandsfähig geworden. Wenn hier morgen wieder Dinosaurier aufkreuzen, könnten wir damit vermutlich auch umgehen. Oder würden es halt lernen. Und die Europäer sassen auf der Couch und hatten das Gefühl, ihr Leben ist jetzt vorbei.
Das richte ich gerne aus.
Kann ich noch etwas sagen?
Klar.
Afrika hat andersrum von Europa gelernt, wie wichtig Gesundheit ist. Corona ist eine Gesundheitskrise. Gesundheit ist ein Luxusgut. Jetzt sehe ich hier Leute beim Trainieren, die das nie gemacht haben. Wir haben verstanden: Wie müssen gesund sein, um das Land aufzubauen. Dass es nur eine Gesundheitskrise brauchte, um Europa in die Knie zu zwingen, öffnet uns echt die Augen. Sogar meine Mama geht jetzt spazieren und versucht, gesund zu essen.
Corona hat Afrika erreicht – und zwar flächendeckend: In allen 54 Ländern in Afrika gibt es bestätigte Infektionsfälle, insgesamt laut WHO allerdings nur rund 106'000, und 4281 Corona-Tote. Eine vergleichsweise geringe Zahl für den Kontinent. Der Grund liegt wohl in zu geringen Testmöglichkeiten und schlechten Gesundheitsbehörden. Zudem könnte das Klima die Ausbreitung verhindern, und die vergleichsweise junge Bevölkerung – das Durchschnittsalter liegt bei 19,7 Jahren – begünstigt geringe Todeszahlen. Am stärksten betroffen ist das Schwellenland Südafrika mit bislang 34'357 Fällen und 792 Toten.
Corona hat Afrika erreicht – und zwar flächendeckend: In allen 54 Ländern in Afrika gibt es bestätigte Infektionsfälle, insgesamt laut WHO allerdings nur rund 106'000, und 4281 Corona-Tote. Eine vergleichsweise geringe Zahl für den Kontinent. Der Grund liegt wohl in zu geringen Testmöglichkeiten und schlechten Gesundheitsbehörden. Zudem könnte das Klima die Ausbreitung verhindern, und die vergleichsweise junge Bevölkerung – das Durchschnittsalter liegt bei 19,7 Jahren – begünstigt geringe Todeszahlen. Am stärksten betroffen ist das Schwellenland Südafrika mit bislang 34'357 Fällen und 792 Toten.