Baerbocks Glaubwürdigkeit in Gefahr
Plagiatsvorwürfe gegen Kanzlerkandidatin der Grünen

Ein angebliches Plagiat bringt die grüne Spitzenkandidatin unter Druck. Sie hat zwar offenbar mehrheitlich redlich gearbeitet – doch das nützt ihr wenig.
Publiziert: 01.07.2021 um 11:23 Uhr
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Aktualisiert: 01.07.2021 um 15:26 Uhr
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Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock muss ihr Buch verteidigen.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Kein Scherz: Wenn Christian Schertz (51) eingeschaltet wird, ist es Ernst. Nun haben die Grünen in Deutschland den bekannten Medienrechtler engagiert. Der Experte, der unter anderem auch Reportagen-Erfinder Claas Relotius (35) vertritt, soll ihnen helfen, die Ehre der Spitzenkandidatin Annalena Baerbock (40) zu retten. Die hatte bisher gute Chancen, bei der Bundestagswahl am 26. September den Sieg für ihre Partei zu holen – doch nun steht alles auf dem Spiel.

Der österreichische Medienwissenschaftler Stefan Weber (51) wirft der deutschen Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vor, für ihr am 21. Juni erschienenes Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern» abgeschrieben zu haben – was die Grünen kategorisch zurückweisen.

Grüne sprechen von «Rufmord»

In einem Blogbeitrag legt Weber Baerbock zur Last, einige Formulierungen aus dem gerade erst veröffentlichten Buch stammten nicht von ihr. «Und wenn man es genau nimmt, handelt es sich auch um mehrere Urheberrechtsverletzungen.»

Ein Grünen-Sprecher nannte die Vorwürfe am Dienstag in Berlin «Rufmord». Im deutschen Polit-Betrieb kosteten Plagiatsvorwürfe bereits mehrere Spitzenpolitiker die Karriere – angefangen bei Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU, 49) im Jahr 2011.

«Ein Sachbuch ist keine Dissertation»

Die Vorwürfe gegen Baerbock gehören nicht zur selben Kategorie. Baerbocks Buch ist kein akademischer Text, für den zwingend strenge Standards wissenschaftlichen Arbeitens gelten. Baerbock breitet in dem 240 Seiten umfassenden Buch grüne politische Konzepte aus und verbindet diese mit persönlichen Erlebnissen. Einzig: Fussnoten, mit denen sie auf Quellen verweisen könnte, nutzt sie nicht.

Das räumt auch Plagiatsjäger Weber ein. «Ein Sachbuch einer Politikerin im Ullstein-Verlag ist keine Dissertation», schreibt er. Aber: «Textplagiate sind ethisch nicht korrekt und wurden auch bereits in Sachbüchern zu Recht bemängelt.»

Plagiatsjäger nahm schon Baerbocks Lebenslauf unter die Lupe

Der Medienwissenschaftler Weber, der sich bereits seit Mai auch mit Ungenauigkeiten im Lebenslauf Baerbocks befasst hat, zählt in seinem Beitrag mehrere Textpassagen mit Parallelen zu anderen Veröffentlichungen auf. Als Beispiele führt Weber unter anderem Beiträge des US-Politikwissenschaftlers Michael T. Klare, der Bundeszentrale für politische Bildung und des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» an.

Weber versuche, «bösartig» Baerbocks Ruf zu schädigen, sagte der Grünen-Sprecher. «Bei den beschriebenen Passagen handelt es sich um allgemein zugängliche Fakten oder bekannte Grüne Positionen.»

Verlag weist Plagiatsvorwürfe zurück

Anwalt Schertz erklärte in einer von der Grünen-Pressestelle verschickten Stellungnahme: «Ich kann nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen, da es sich bei den wenigen in Bezug genommenen Passagen um nichts anderes handelt, als um die Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten.»

Auch der Ullstein-Verlag, bei dem das Buch erschienen ist, verwahrte sich gegen die Vorwürfe und argumentierte ähnlich. «Das Manuskript von Annalena Baerbocks Buch ist im Verlag sorgfältig lektoriert worden», so der Verlag. «Die Aufzählung von allgemein zugänglichen Fakten ist ebenso wenig urheberrechtlich geschützt wie einfache Formulierungen, mit denen solche Fakten transportiert werden. Wir können keine Urheberrechtsverletzung erkennen.» Wie bei nichtwissenschaftlichen Werken üblich enthalte das Buch kein Quellenverzeichnis.

Gelten überall die gleichen Massstäbe?

Unterm Strich: kein guttenbergscher Plagiatsskandal. Und Baerbocks härtester Gegner in der politischen Arena, CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet (60), dürfte froh sein, wenn niemand seine Werke – wie etwa das 2016 erschienene Buch «Europa im Schicksalsjahr» – so kleinlich auseinandernimmt. Der CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen fiel ausserdem 2014 mit einer peinlichen Episode auf: Als Uni-Professor verschlampte er einen Stapel Klausuren. Er versuchte, das zu vertuschen, indem er dennoch Noten verteilte – auch an Studierende, die gar nicht mitgeschrieben hatten.

Doch für Baerbock, an die als Grüne besondere Moral- und Transparenz-Massstäbe angelegt werden, ist es nach nachgemeldeten Nebeneinkünften und einem geschönten Lebenslauf bereits der dritte «Skandal» in kürzester Zeit. Das politische Gegenlager hat sich auf die Grüne eingeschossen und wühlt.

Das erscheint im Vergleich nicht fair, zeigt aber Wirkung. Die deutsche Medienlandschaft ist sich von der intellektuellen «Zeit» bis zur Boulevardzeitung «Bild» mehrheitlich einig: Baerbock verliere ihre Glaubwürdigkeit.

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