In Deutschland sorgen mehrere mysteriöse Fälle für Unruhe: In nur wenigen Wochen kamen in einem Spital in Gelsenkirchen (D) drei Säuglinge zur Welt, denen eine Hand fehlte . Auf der Website teilt die Klinik mit, dass alle betroffenen Familien im lokalen Umfeld wohnen, ethnische, kulturelle oder soziale Gemeinsamkeiten aber gebe es zwischen ihnen keine.
«Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig», schreibt das Sankt Marien-Hospital Buer in Gelsenkirchen in einer Mitteilung. Auch in Datteln nahe Münster (D) und in Dorsten (D) kamen zwei Kinder ohne Hand zur Welt. Alles im Ruhrgebiet.
Fünf Fälle allein im Ruhrgebiet in diesem Jahr
Und in der Schweiz? Es sei halt eine «Laune der Natur». Das bekommen die über 120 Mitglieder des Schweizer Selbsthilfevereins Pinocchio oft zu hören. Ihren Kindern fehlen Finger oder gar die ganze Hand. Warum sie mit diesen Fehlbildungen geboren wurden, auf die Antwort warten die betroffenen Familien vergebens. «So viel ich weiss, gibt es keine Untersuchungen in der Schweiz, die sich mit dem Phänomen befassen», sagt Kaja Urban von Pinocchio. «Die Fehlbildungen bleiben rätselhaft. Wir müssen halt damit leben.»
Vielen Deutschen steckt der Contergan-Skandal noch in den Knochen. In den 60er-Jahren führte das Beruhigungsmittel für Schwangere zu schweren Fehlbildungen bei Embryos im Mutterleib. Auch jetzt fürchtet man, dass äussere Umstände schuld an den Behinderungen sein könnten.
Frankreich kämpft seit zehn Jahren mit dem Ohne-Hand-Phänomen
Bereits seit 2009 fallen im Verwaltungsbezirk Ain im Nordosten Frankreichs bei einigen Säuglingen Fehlbildungen dieser Art auf. Neun der 18 zwischen 2000 und 2004 ohne Hand geborenen Kinder stammen aus dem Dorf Druillat. Das ist nur 90 Kilometer von Genf entfernt. Was die betroffenen Familien verbindet: Sie lebten alle in der Nähe von Raps-, Sonnenblumen- und Maisfeldern. Die Angst geht seitdem um: Wurden die Babys im Mutterleib durch chemische Düngung oder Pestizide vergiftet?
«Natürlich fragen sich viele unserer Mitglieder, besonders gleich nach der Geburt, warum ihr Kind ohne Hand auf die Welt kommt», sagt Kaja Urban von der Selbsthilfegruppe Pinocchio. «Da werden schon Umweltgifte vermutet». Ihre Kollegin Diana Beeler erinnert sich: «In den Jahren 2003 und 2004 kamen besonders viele Kinder mit Fehlbildungen aus der Region Basel, wo die Pharma-Konzerne produzieren.» Auch Kernkraftwerke stünden in Verdacht.
Meist Störung in der frühen Embryonalphase
Schweizweit gebe es vier bis fünf Handfehlbildungen pro Jahr, sagt der Leiter der Handchirurgie am Kinderspital Zürich, Daniel Weber, zum SRF. «Die häufigste Ursache ist eine frühe Störung in der Embryonalphase, wo beim Kind das Auswachsen der Hand gestört wird. Weiter gibt es genetische Ursachen. Diese betreffen aber meist den ganzen Körper», so der Mediziner weiter. Giftstoffe oder Medikamente während der Schwangerschaft seien ebenfalls eine mögliche Ursache. Da seien aber meist nicht nur die Hände betroffen.
Bei den Schweizer Familien es ist schwer, einen gemeinsamen Nenner zu finden. «Die meisten unserer Mitglieder kommen aus dem Kanton Aargau und aus dem Zürcher Unterland. Wir haben auch einige aus Basel. Ansonsten sind viele der Familien in der ganzen Schweiz verteilt», sagt Kaja Urban. Eine einzelne Ursache zu ermitteln, ist offenbar schwierig. Da bleibt es dann schnell bei der «Laune der Natur».
In Deutschland ist man über das Auftreten der Fehlbildungen besorgt und will nun handeln: Das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen will sich nun einen genaueren Überblick über die Situation verschaffen. Man werde alle Klinken in dem Bundesland abfragen, ob ähnliche Fälle aufgetreten seien.