Baby Samir lebte nur eine Stunde
Die 11 Todes-Opfer von Calais

Überfahren, gestürzt, verbrannt, ertrunken: Mindestens elf Menschen hat der verzweifelte Versuch, von Calais nach Grossbritannien zu gelangen, seit Anfang Juni bereits das Leben gekostet.
Publiziert: 31.07.2015 um 15:45 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:31 Uhr
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Beim Versuch nach Frankreich zu gelangen, nehmen die Flüchtlinge das Todesrisiko in Kauf.
Foto: Keystone

Der kleine Samir wurde nur eine Stunde alt. Seine Mutter hatte ihn Anfang Juli nach nur 22 Schwangerschaftswochen im Spital von Calais notfallmässig zur Welt gebracht, nachdem sie beim Versuch, vor dem Eurotunnel-Portal auf einen Lastwagen zu klettern, gestürzt war und sich dabei verletzt hatte. Vor gut zwei Wochen wurde die Leiche des Babys auf einem Friedhof in Calais beigesetzt, berichtet die Lokalzeitung «Nord Littoral».

Baby Samir ist das jüngste Opfer der Flüchtlings-Tragödie in der nordfranzösischen Hafenstadt. Laut der Groupe Eurotunnel, der Betreiberin des Tunnels und der Zug-Shuttles, wurden seit Anfang Jahr 37'000 Menschen gestoppt, die versucht haben, illegal durch den Ärmelkanal zu gelangen. Seit einigen Wochen versuchen die Flüchtlinge in grösseren Gruppen den Eingang des Südportals des Tunnels zu stürmen, in Lastwagen ein Versteck zu finden oder auf dem Dach der Züge oder Lastwagen unbemerkt nach England zu gelangen. Dort erhoffen sie sich bessere Chancen auf eine Unterkunft, einen Job – auf eine Zukunft.

Doch nicht alle schaffen es lebend auf die andere Seite des rund 30 Kilometer langen Kanals. Nebst Baby Samir sind laut «La Libération» seit Anfang Juni zehn weitere Menschen beim Versuch, nach Grossbritannien zu gelangen, ums Leben gekommen.

  • Am 1. Juni wurde ein 23-jähriger Äthiopier überfahren, als er versuchte, auf dem Weg zum Tunneleingang die Autobahn zu überqueren.
  • Auch die Eritreerin Zebiba †23) wurde von einem Auto erfasst, als sie am frühen Morgen des 26. Juni über die Autobahn rannte.
  • Am selben Tag wollte Getenet (†32) aus Äthiopien auf einen Güterzug klettern. Als dieser unvermittelt losfuhr, wurde der Mann vom Fahrzeug geschleudert und krachte gegen einen Betonpfeiler. Er starb.
  • Abd El Majed aus dem Sudan fiel am 7. Juli von einem fahrenden Güterzug und erlitt dabei tödliche Verletzungen an der Wirbelsäule.
  • Der 23-jährige Mohammad starb an schweren Verbrennungen. Am 16. Juli hatte der Pakistani zusammen mit zwei anderen jungen Männern versucht, auf einen Zug zu klettern. Dabei erlitten sie einen Stromschlag, Mohammad starb einen Tag später im Spital.
  • Houmet, 17 Jahre alt, sprang am 19. Juli auf der Flucht vor Polizisten in ein Regenwasserauffangbecken in der Nähe des Tunnels. Er ertrank.
  • Am 23. Juli wurde auf der britischen Seite des Eurotunnels auf dem Dach eines Zuges die Leiche eines Teenagers gefunden. Es wird davon ausgegangen, dass er noch auf französischer Seite ums Leben gekommen war. 
  • Die 23-jährige Ganet kam am 24. Juli auf dieselbe Art und Weise ums Leben wie ihre Landsfrau Zebiba gut einen Monat zuvor: Sie wurde von einem Auto überfahren, als sie nachts die Autobahn überqueren wollte.
  • Am vergangenen Dienstag starb der 30-jährige Sadik aus Pakistan im Spital, nachdem er von einem Zug gefallen war.
  • Vergangenen Mittwoch schliesslich wurde ein junger Mann zwischen 25 und 30 Jahren von einem Lastwagen erfasst, als er versuchte, auf einen Zug zu klettern. Das Opfer stammt vermutlich aus dem Sudan.

Die französischen Behörden und die Eurotunnel-Betreiberin Eurotunnel Groupe haben als Reaktion auf die prekäre Situation in Calais bislang mit einer Verstärkung der Tunnelsicherung und des Personals reagiert. 200 private Sicherheitsleute und 300 Polizisten stehen im Einsatz, zudem wurde Anfang Juni ein sechs Meter hoher, mit Stacheldraht versehener Zaun aufgestellt. Doch er kann die Flüchtlinge nicht stoppen. Sie wollen um jeden Preis nach Grossbritannien. Und sei er das eigene Leben. (lha)

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