Ausweg für irische Grenzfrage liegt Brüssel und London vor
Schweizer Professor hat Lösung für Brexit-Streit!

Eine Gruppe von hochkarätigen, internationalen Professoren will im letzten Moment ein Brexit-Chaos verhindern. Sie schlagen einen neuen Handelsraum für Europa vor.
Publiziert: 30.01.2019 um 15:11 Uhr
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Aktualisiert: 31.01.2019 um 08:12 Uhr
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Will den harten Brexit verhindern: Prof. Dr. Hans Gersbach von der ETH Zürich.
Foto: zVg
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Guido FelderAusland-Redaktor

Der Countdown läuft: Nicht einmal mehr zwei Monate dauert es bis zum Brexit. Nach der Debatte im britischen Unterhaus am Dienstag wird es am 29. März wahrscheinlich auf einen harten Bruch mit der EU hinauslaufen. Denn die EU hat signalisiert, dass sie nicht auf die von den Briten beantragten Nachverhandlungen eintreten werde.

Das Chaos bei einem harten Brexit ist programmiert: Der Verkehr könnte zusammenbrechen, die Briten bereiten bereits einen Militäreinsatz vor.

Raus aus der Sackgasse

Nun kommt ein Schweizer mit einer Idee, mit welcher der Gordische Knoten gelöst werden könnte. Professor Hans Gersbach (59) ist Professor für Makroökonomie an der ETH und – als Schweizer Staatsbürger! – auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Er hat seine internationalen Kontakte dazu genutzt, mit hochkarätigen Forschern einen Vorschlag zu präsentieren, der aus der Brexit-Sackgasse führen soll. 

Seine Idee: Nebst der bereits bestehenden EU-Zollunion müsste zusätzlich eine Europäische Zollunion errichtet werden. Diese würde nebst den Staaten der EU auch weitere Länder umfassen, eben Grossbritannien und zum Beispiel auch die Türkei. Gersbach erklärt gegenüber BLICK: «Als Mitglied dieser Europäischen Zollunion hätte Grossbritannien bei Handelsfragen ebenfalls ein Stimmrecht.» Die Organisation würde die klassischen Gebiete der Handelspolitik regeln wie etwa Zölle und Quoten.

Zur Frage, ob die Schweiz auch dazugehören könnte, will sich Gersbach zurzeit nicht äussern. «Ich will das nicht vermischen. Zuerst müssen wir abwarten, wie der Brexit verläuft.»

Irische Grenzfrage vorderhand gelöst

Der Vorteil dieser neuen Union wäre, dass die Grenze zwischen der zur EU gehörenden Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland für Waren geöffnet bliebe. Diese Grenze ist der grosse Streitpunkt zwischen London und Brüssel. Im Austrittsvertrag, den die britische Premierministerin Theresa May (62) mit der EU vorverhandelt hatte, ist der sogenannte Backstop eingebaut.

Dieser Backstop sieht vor, dass es zwischen Irland und Nordirland keine neuen Grenzen geben dürfe, um ein Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts zu verhindern. Mit dem Backstop würde Grossbritannien so lange in der EU-Zollunion bleiben, bis eine definitive Lösung für die Grenzfrage gefunden ist.

Kritiker dieser Notfalllösung befürchten, dass Grossbritannien damit noch lange an die EU gebunden sein wird. Sie wollen den Backstop deshalb aus dem Austrittsvertrag streichen oder ihn anpassen.

Zollunion als Basis

Mit dem Vorschlag von Hans Gersbach und seinen Ko-Autoren nicht geregelt wäre der Personenverkehr. Gersbach: «Diese Zollunion ist als schnelle Lösung gedacht, die man als Basis für weitere Abkommen anwenden könnte.» Der ETH-Professor könnte sich vorstellen, den neuen Handelsraum innert weniger Wochen zu schaffen, so dass der Brexit – wenn überhaupt – höchstens drei bis sechs Monate hinausgezögert werden müsste.

Die EU hat in den vergangenen Wochen mehrere Male signalisiert, dass sie den Briten beim Ausstiegsvertrag nicht entgegenkommen wolle. Gersbach ist aber überzeugt: «Um ein Chaos zu verhindern, müssen sich beide Seiten aufeinander zubewegen. Es gibt auch bei der EU noch Spielraum, es sind nicht alle der gleichen Meinung.»

Hochkarätiges Forscherteam schreibt Brüssel und London

Gersbachs Vorschlag ist nicht einfach eine Schnapsidee eines ETH-Professors, sondern wurde von mehreren anerkannten Fachleuten ausgearbeitet. Zur Gruppe «Hard Brexit Ahead: Breaking the Deadlock» gehören nebst Hans Gersbach auch Gabriel Felbermayr, Leiter ifo-Zentrum für Aussenhandel und künftiger Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Clemens Fuest, Präsident ifo-Institut, Albrecht Ritschi, Professor für Wirtschaftsgeschichte in London, Marcel Thum Finanzprofessor und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des deutschen Finanzministeriums, sowie Martin Braml, Doktorand in München.

Die Forschertruppe hat am Mittwoch ihre Arbeit nach Brüssel, London und Berlin geschickt. Hans Gersbach: «Unser Vorschlag ist wohl eine der letzten Möglichkeiten, einen ungeordneten Brexit und somit ein Chaos in Europa zu verhindern.»

Der Brexit-Fahrplan - so geht es weiter
  • 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
  • 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
  • 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
  • Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
  • Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.
  • 12. März: Das Parlament stimmt im sogennanten «meaningful vote» über das zwischen May und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen ab. Zum zweiten Mal entschied das Parlament gegen Mays Deal (mit 391 zu 242 Stimmen).
  • 13. März: Die Premierministerin lässt darüber abstimmen, ob Grossbritannien die EU ohne Deal verlassen soll. Das wäre ein harter Brexit, der wegen fehlender Übergangsbestimmungen in ein Chaos führen könnte. Kommt es bei der Abstimmung zum No-Deal zu einem Nein, entscheidet das Parlament für oder gegen eine Verschiebung des Brexit.
  • 14.März: Die Abgeordneten entscheiden über die Brexit-Verschiebung. Nein = EU-Austritt am 29. März, vermutlich ohne Deal; Ja = London bittet EU um Verlängerung der Frist.
  • Für die Umsetzung eines Abkommens müssen mindestens 20 EU-Länder zustimmen, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Kommt eine Mehrheit nicht zustande, tritt Grossbritannien ohne Deal aus der EU aus.
  • Der Austritt erfolgt in jedem Fall am 29. März 2019.
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