Nizzas berühmte Uferpromenade wie ausgestorben, dagegen Menschenmassen auf den Seine-Quais in Paris: Im Kampf gegen neue Corona-Varianten mussten die Einwohner in zwei besonders betroffenen Gebieten im Süden und Norden Frankreichs das Wochenende zu Hause bleiben. Weitere Regionen könnten folgen. Eine erneute landesweite Ausgangssperre wie vor einem Jahr will Premierminister Jean Castex aber weiterhin um jeden Preis vermeiden.
Die zunächst für zwei Wochenenden angeordnete Ausgangssperre gilt für alle Bewohner der Côte d'Azur von Menton bis Théoule-sur-Mer, einschliesslich der Strandmetropole Nizza. Im Norden ist der Grossraum von Dünkirchen betroffen.
In den betroffenen Gebieten dürfen die Menschen ihre Wohnungen zwischen Freitagabend, 18.00 Uhr, und Montagmorgen um 06.00 für maximal eine Stunde am Tag in einem Fünf-Kilometer-Radius verlassen. Für ganz Frankreich gilt bereits eine abendliche Ausgangssperre ab 18.00 Uhr.
Die Strandmetropole Nizza wirkte am Wochenende wie eine Geisterstadt. «Es muss etwas getan werden, Covid nimmt zu in der Region», sagte der Koch Charlie Kentish, der am frühen Samstagmorgen noch einen kurzen Spaziergang an den Strand unternahm. Der Engländer lebt seit 30 Jahren in Nizza. Das Wochenende werde er damit verbringen, mit seinen drei Söhnen «viel Playstation zu spielen», sagte er.
Obwohl Lebensmittelgeschäfte und -märkte auch während der Ausgangssperre geöffnet bleiben dürfen, haben sie kaum Kunden. Der Blumenhändler Joseph Scriva findet, die Situation in Nizza sei «vielleicht noch schlimmer» als während des ersten landesweiten Lockdowns vor rund einem Jahr. «Viele Menschen sind ins Hinterland gezogen, um diesem Eingesperrtsein zu entkommen. Niemand ist mehr draussen», sagt er resigniert. Nach einer ersten Bilanz der Polizei wurde die Ausgangssperre zunächst weitgehend respektiert.
Ähnlich sah es am Wochenende auch im nordfranzösischen Dünkirchen und seiner Umgebung aus. Viele Einwohner äusserten Verständnis für die Massnahme. Der regionalen Gesundheitsbehörde ARS zufolge waren am Donnerstag alle Intensivbetten im Krankenhaus von Dünkirchen belegt, und mindestens 60 Patienten mussten in andere Krankenhäuser in der Region verlegt werden.
Am vergangenen Mittwoch waren in Frankreich landesweit 31.000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus gemeldet worden - so viele wie seit vergangenem November nicht mehr. Fast die Hälfte der Ansteckungsfälle geht laut Premierminister Castex inzwischen auf die zuerst in Grossbritannien entdeckte Corona-Mutante zurück.
Um eine Rückkehr zu einer umfassenden Ausgangssperre wie zu Beginn der Pandemie zu verhindern, appellierte Castex an die Präfekten der 20 Départements, in denen das Coronavirus derzeit am stärksten wütet, die bestehenden Corona-Massnahmen entschlossener durchzusetzen. In einer Videokonferenz sagte der Regierungschef am Samstag, die Kontrollen müssten verschärft und die Impfkampagne optimiert werden. Zudem sollten mehr Speicheltests in Bildungseinrichtungen eingesetzt und die Richtlinien zum Home Office besser umgesetzt werden.
Möglicherweise wird das aber nicht genügen. Die Behörden des im Grossraum Paris gelegenen Département Essonne kündigten für den Wochenbeginn mögliche weitere Massnahmen an. In Paris, wo sich am Samstag zehntausende Menschen bei strahlender Sonne auf den Seine-Quais drängten, sorgt die Forderung nach einem dreiwöchigen Lockdown mit der Perspektive, danach alles wieder öffnen zu können, weiter für Diskussionen.
Die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo wollte am Montag mit ihren Stadtteil-Kollegen über weitere Massnahmen beraten, nachdem Castex den Vorschlag als «Unsinn» abgetan hatte. Es sei illusorisch zu glauben, dass danach alles wieder öffnen könne, betonte der Premierminister am Freitag. Die Regierung will zumindest die Schulen unbedingt offen lassen und erwägt deshalb für Paris Ausgangssperren auch an Wochenenden.
(AFP)