Der Stadtführer Neschinski will sich nicht nur um den Politiker drehen, dessen Kritiker auch in der Stadt an der Newa – dem Venedig des Nordens – immer wieder zu Tausenden gegen den «Dieb Putin» und zunehmende Repressionen demonstrieren. «Wir schauen hier auf Putin als Sohn, als Student, Sportler und Anfänger beim KGB», sagt Neschinski. In dem Gebäude des gefürchteten sowjetischen Geheimdienstes KGB, der im Kommunismus Jagd auf Andersdenkende machte, ist heute die Nachfolgeorganisation FSB untergebracht.
Neschinski erzählt an dem «Grossen Haus» mit seiner geradlinig kalten Architektur im sowjetischen Monumentalstil, dass der KGB Putin hier einst abwies, als er um Aufnahme bat. Er sollte erst Jura studieren. Dann fand er doch seinen Weg zum Geheimdienst, wurde nach Dresden als Offizier abgeordnet, um in der DDR das Funktionieren des Überwachungsstaates mit zu garantieren. Als alles zusammenbrach, kehrte die inzwischen gewachsene Familie Putin nach Russland zurück.
Nischinski führt zu dem Wohnhaus aus den Zeiten von Sowjetdiktator Josef Stalin, wo Putin und seine Frau Ljudmila mit den beiden Töchtern lebten. Und er erzählt, dass Putin die Stewardess aus Kaliningrad (früher Königsberg) am Newski Prospekt im Zentrum das erste Mal traf - zu einem Konzertbesuch. «Putin hat ihr anfangs nicht erzählt, dass er Geheimdienstler ist», sagt Neschinski, der selbst in den 80ern geboren ist und kaum etwas von der Sowjetzeit miterlebte.
1983 folgte die Eheschliessung mit Ljudmila; 30 Jahre später gaben beide in Moskau in einer Pause des Balletts «Esmeralda» ihre Trennung bekannt. Seit 2013 ist Putin zumindest offiziell Single.
Bei der Stadtführung geht Neschinskis Blick zurück bis in Putins Kindheit. Es gibt einen Zwischenstopp in der Kirche, in der Putin getauft wurde, und in der Baskow-Gasse 12, wo Putin in einer Kommunalka – einer Gemeinschaftswohnung - mit anderen Familien aufwuchs. Im Hof jagte er mit Freunden Ratten, wie Neschinski erzählt - über den kleinen Putin, der damals einen Ruf als Rowdy gehabt haben soll und lange auch nicht bei den Pionieren aufgenommen wurde.
Gleich nebenan ging er zur Schule. «Er kam immer wieder zu spät zum Unterricht», sagt Neschinski. Er beruft sich auf Schilderungen von Putins Lehrerin Vera Gurewitsch, die noch lebt, ein Buch geschrieben und in Dokumentationen viel erzählt hat über ihren früheren Schüler. Die Anekdote schlägt die Brücke zur Gegenwart: Putin ist bekannt dafür, dass er sich verspätet. Selbst die Queen liess er warten.
Neschinski erzählt auch von Putins Vater, einem durch Kriegsverletzungen zum Invaliden gewordenen Veteranen und von der Präsidenten-Mutter. Sie überlebte die Leningrader Blockade der deutschen Faschisten, verlor zwei Söhne und war über 40 Jahre alt, als sie den dritten und letzten Sohn Wladimir zur Welt brachte.
Stationen der Stadttour sind Putins Judo-Club - heute ist er auch Ehrenpräsident des Internationalen Judo-Verbandes (JIF) - und die Juristische Fakultät mit einer Tafel zu seinen Ehren. Und der Smolny, die Stadtverwaltung, in der Putin lange Stellvertreter des Bürgermeisters Anatoli Sobtschak war. Als der liberale Politiker 1996 die Wahl verlor, war das auch Putins Ende im Smolny, wo er für internationale Beziehungen zuständig war. Er ging nach Moskau.
Am Smolny macht Neschinski auch einen Exkurs und erinnert an die frühere Abgeordneten-Gruppe um Marina Salje, die von 1992 gegen Putin eine Kommission zur Aufklärung von Korruption und Betrug in der Stadtverwaltung führte. Putin war damals für den Import von Lebensmitteln im Austausch für Rohstoffe wie Öl zuständig. Folgen für Putin hatte die Untersuchung nicht.
Viele, die damals mit ihm in der Stadtverwaltung arbeiteten, haben heute hohe Posten: Alexej Miller ist Chef des Gasmonopolisten Gazprom. Dmitri Medwedew wurde Präsident und Regierungschef und führt nun die Kremlpartei Geeintes Russland. Igor Setschin leitet den grössten russischen Ölkonzern Rosneft, wo Altkanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder Aufsichtsratsvorsitzender ist. Die Liste der Günstlinge ist lang, wie auch der im Straflager inhaftierte Putin-Gegner Alexej Nawalny in seinem Film «Ein Palast für Putin» zeigt, der bei Youtube mittlerweile 117 Millionen Aufrufe hat.
Russlands prominentester Oppositioneller zeichnet in dem Film auch nach, dass Putin Lizenzen ausgegeben habe, um «buchstäblich Öl gegen Zucker und Kartoffeln, Holz gegen Kindernahrung» einzutauschen. «Formal vertrat er die Interessen des Staates, faktisch aber half er einfach nur Banditen», sagt Nawalny in dem Film. Stadtführer Neschinski kennt diese Vorwürfe, aber sie sind nicht sein Thema.
Klar ist nur, dass Putin heute in den prachtvollen Palästen der früheren Zarenmetropole selbst Hof hält. Und wer bucht solche Stadttouren auf den Spuren Putins, die auch andere Führer anbieten? Neschinski sagt, dass die dreieinhalbstündige Exkursion «Putin in Peterburg» im Auto vor allem Geheimdienstler buchten, aber auch Journalisten. «Es ist aber auch die am schlechtesten verkaufte Tour von allen, die ich mache.»
(SDA)