Asylzoff in der Grossen Koalition
Merkel unter Druck

Die Flüchtlingspolitik in Deutschland entwickelt sich zum Sprengsatz der Grossen Koalition. Nun stellt sich sogar ihre eigene Partei gegen Kanzlerin Angela Merkel. Dabei hat sie gute Argumente.
Publiziert: 13.06.2018 um 19:43 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:14 Uhr
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (63) und Horst Seehofer (68) streiten über die Flüchtlingspolitik.
Foto: Reuters
Fabienne Kinzelmann

Wenn im Kanzleramt heute Fragen der Zuwanderung und Integration diskutiert werden, ist einer nicht dabei: Innenminister Horst Seehofer (68, CSU) hat seine Teilnahme am Integrationsgipfel abgesagt. Offiziell aus Protest gegen die Teilnehmerin und Journalistin Ferda Ataman (39), die es gewagt hatte, sein «Heimatministerium» zu kritisieren.

Dass Seehofer mit seiner Absage jedoch auch Angela Merkel (63, CDU) düpiert, dürfte kalkuliert sein – die Bundeskanzlerin ist schliesslich Gastgeberin der Konferenz, bei der wichtige Vertreter aus Politik, Medien und von Migrationsverbänden ebenso wie von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften erwartet werden.

Seehofer spricht im Asylverfahren von «Systemkrise»

Der Asylzoff in der Grossen Koalition (GroKo) brodelt nicht nur, sondern liegt aktuell offen zu Tage. Zickte Seehofer auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 noch als bayerischer Landeschef von München aus Richtung Berlin, nutzt er jetzt seine Position als Innenminister, um seine Vorstellungen von Flüchtlingspolitik auf Bundesebene voranzutreiben.

Seehofer verantwortet einen «Masterplan Migration» mit 63 Massnahmen zur Beschleunigung und Verbesserung der Asylverfahren. «Wir haben eine Systemkrise», sagte der Innenminister laut «Bild». «Wir haben die Lage nach wie vor nicht im Griff.»

Offenbar ist sein Migrationsplan fertig, nur offiziell vorgestellt wurde er noch nicht. Denn der Innenminister und die Kanzlerin streiten über einen Punkt, der für Merkel an den Grundfesten ihrer Politik rüttelt. Offene Grenzen innerhalb der EU – die verteidigte Merkel auch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise.

Nach dem Mord an Susanna F. (14) ist die Kanzlerin unter Druck

Doch nach dem Mord an Susanna F. (14) durch den Asylbewerber Ali Bashar (21) ist ein Streit um Macht, Moral und Recht entbrannt, der die Kanzlerin gewaltig unter Druck setzt. Eine Mehrheit ihrer Partei steht offenbar hinter Seehofers Plänen, bereits in einem anderen EU-Land registrierte Flüchtlinge direkt an der Grenze abzuweisen. 

Das war am Dienstag bei einer Fraktionssitzung laut Medienberichten deutlich zu spüren. Es war eine anderthalbstündige Debatte zur Flüchtlingspolitik angesetzt, die am Ende keine Debatte gewesen sei: Die Kanzlerin habe auf der einen Seite gestanden – eine Mehrheit der Unionspolitiker von CDU und CSU auf der anderen. 

Merkel hat gute Argumente

Merkel beschwor die Abgeordneten, keinen nationalen Alleingang zu wagen. Mehrmals plädierte sie für eine europäische Lösung. Rechtlich sei die Lage heikel.

Das bestätigt auch die Europarechtlerin Astrid Epiney (52). «Das Dublin-System sieht durchaus Rückweisungen vor, diese muss man aber prüfen.» Dafür gebe es entsprechende Verfahren. «Verweigert ein Land ohne weiteres die Einreise, würden diese Verfahren und damit das System unterlaufen werden.»

Der Einzelfall müsse geprüft werden, so die Rektorin der Universität Freiburg. «Einfach die Grenzen zu schliessen, erscheint mir rechtlich problematisch.» Doch das wollen viele Abgeordnete offenbar nicht glauben.

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