Gefoltert von Islamisten, vergewaltigt im Knast der Terrormiliz IS, schwer traumatisiert: Der Fall von Muhanned (28) aus Deir ez-Zor im Osten Syriens müsste eigentlich sonnenklar sein. Ärzte ohne Grenzen hat ihn untersucht, ein medizinischer Bericht und zahlreiche Narben an Brust, Armen und Beinen bestätigen seine Darstellung. Aber: «Die Behörden glauben mir nicht.»
Seit zehn Monaten lebt Muhanned auf Lesbos, zwei Asylanträge wurden bereits abgelehnt. Beim letzten Mal musste er anschliessend für einen Monat ins Gefängnis – das Standard-Prozedere der Behörden, die ihre Asylgesetze immer weiter verschärfen. Muhanned sagt nur: «Das ist halt Griechenland!»
Flüchtlinge inhaftiert
Für Neuankömmlinge ist die Lage seit dem vergangenen Wochenende noch verheerender. Im Hafen von Mytilini liegt ein Militärschiff, auf dem die zuletzt eingetroffenen Flüchtlinge inhaftiert sind. «Es gibt keine Einzelfallprüfung mehr. Wir wissen, dass sie keinen Asylantrag stellen dürfen», sagt Bill Frelick von der Hilfsorganisation Human Rights Watch zu SonntagsBlick.
Der Grund: Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis (52) macht den Trump. Bereits im Januar wurde bekannt, dass der Regierungschef vor Lesbos so etwas wie eine Mauer plant. Sein drei Kilometer langer «schwimmender Damm» soll Flüchtlinge fernhalten.
Seit sein Amtskollege Recep Tayyip Erdogan am vergangenen Wochenende die türkische Grenze öffnete, hat Mitsotakis das Asylrecht vorläufig komplett ausgesetzt. Wer ohne gültige Reisepapiere nach Griechenland reist, soll unverzüglich in die Heimat abgeschoben werden – ohne die Möglichkeit, Asyl zu beantragen, sogar ohne jede Registrierung. Zudem verhängen Schnellgerichte Haftstrafen für illegale Grenzübertritte. Allein von Freitag auf Samstag nahm die griechische Polizei 27 Personen fest.
Wasserwerfer und Tränengas
An der Landgrenze zur Türkei setzen die Beamten seit Tagen Wasserwerfer und Tränengas ein. Vor der Küste sollen Flüchtlingsboote zurückgedrängt worden sein – offenbar auf Geheiss der Griechen. Das wurde bekannt, nachdem sich ein dänisches Frontex-Boot geweigert hatte, die Anweisung zu befolgen. «Dass Menschen brutal und offen zurückgedrängt werden, ist ein Drama», sagt Bill Frelick: «Wo bleiben da die europäischen Werte? Was ist mit den Menschenrechten, einem würdigen Empfang von Menschen und der Möglichkeit für sie, um Schutz zu bitten, und sie nicht an Orte zurückzuschicken, wo ihr Leben in Gefahr ist?»
Die Abschottungspolitik der Mitte-rechts-Regierung in Athen wirkt tief in die Gesellschaft. Journalisten und freiwillige Helfer werden auf Lesbos seit einer Woche von frustrierten Einwohnern und organisierten Rechten attackiert. Viele Hilfsorganisationen sahen sich gezwungen, ihre Arbeit einzustellen und Freiwillige aufs Festland zu schicken. Notrufe bei der Polizei verhallten in vielen Fällen.
«Man ist sofort in eine Krisensituation geschlittert»
Der deutsche Europaabgeordnete Erik Marquardt (32) macht dafür auch EU-Chefin Ursula von der Leyen (61) verantwortlich, die Griechenland als «Schild» Europas bezeichnet hat. «Man ist sofort in eine Krisensituation geschlittert, hat den Eindruck erweckt, dass ein Angriff auf Europa stattfindet, und hat wirklich Worte benutzt, die dazu führen, dass Menschen vor Ort, die unter der Situation wirklich seit Jahren leiden, denken: Jetzt ist es quasi Notwehr, wenn ich mit Gewalt auf Leute losgehe», sagt er zu SonntagsBlick.
Die Theaterpädagogin Flo Kessler (32) aus Berlin gehört zur Crew der «Mare Liberum». Seit Tagen wird der Beobachtermission, der sie angehört, die Einfahrt verwehrt. «Die Hafenbehörde sagt, niemand könne für unsere Sicherheit garantieren.» Ob die Behörden nicht können oder nicht wollen, ist angesichts der angespannten Lage auf Lesbos schwer zu sagen.
«Natürlich waren unsere Papiere völlig in Ordnung.»
Viele Flüchtlingshelfer sehen sich von den Behörden drangsaliert. «Während wir medizinische Versorgung geleistet haben, wollte die Polizei unsere Dokumente kontrollieren. Wir wurden anderthalb Stunden nach Mytilini gebracht, weil die Papiere angeblich nur dort geprüft werden konnten», erzählt die Deutsche Sophie (25), die als Krankenschwester auf der Insel arbeitet. «Natürlich waren unsere Papiere völlig in Ordnung.»
Sie rechnet trotzdem mit regelmässigen Kontrollen: «Wir halten uns jetzt im Hintergrund. Wir sind nur zu zweit und müssen da sein, wenn ein Notfall passiert. Da können wir es uns nicht leisten, einen halben Tag zu verlieren, weil wir aufwendig kontrolliert werden.»
Tragödie auf Lesbos: Ein Schulhaus für Flüchtlingskinder brannte gestern vollständig ab. Betrieben wurde es von der Schweizer Hilfsorganisation One Happy Family. Die Brandursache ist unklar, Brandstiftung kann nicht ausgeschlossen werden. «Menschen kamen keine zu Schaden», sagte ein Sprecher zu SonntagsBlick.
Tragödie auf Lesbos: Ein Schulhaus für Flüchtlingskinder brannte gestern vollständig ab. Betrieben wurde es von der Schweizer Hilfsorganisation One Happy Family. Die Brandursache ist unklar, Brandstiftung kann nicht ausgeschlossen werden. «Menschen kamen keine zu Schaden», sagte ein Sprecher zu SonntagsBlick.