Vergewaltigungen, Folterungen, Hinrichtungen: All das wurde ihrem Volk angetan, trotzdem verteidigt die ukrainische Anwältin Khrystyna Wrashchuk (42) die mutmasslichen Täter vor Gericht. Sie ist eine von mehr als 200 Anwälten, die angeklagte russische Kriegsverbrecher und deren lokale Kollaborateure verteidigen.
Für sie und ihre Kollegen ein moralisches Dilemma. Während die Taten unvorstellbar grausam und fernab jeden Rechtsstaates sind, will die Ukraine gleichzeitig den Angeklagten einen fairen Prozess machen und die Rechtsstaatlichkeit bewahren. Keine leichte Aufgabe.
Aussage von Ehefrau und Schwester verhindern
Ein Fall belastet Wrashchuk noch immer, wie sie gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Die 42-Jährige verteidigte drei russische Soldaten, denen vorgeworfen wurde, zwei Männer in der Nähe von Kiew im Jahr 2022 zu Tode gefoltert zu haben. Die Ehefrau und Schwester der Toten habe vor Gericht aussagen wollen.
Wegen Wrashchuk sollte sie aber aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Der Grund: Die Ukrainerin konnte nicht ausreichend beweisen, mit den Toten verwandt zu sein. «Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause und mich einfach nur mit heissem Wasser waschen», sagt Wrashchuk zu Reuters. Am Ende wurde die Ehefrau und Schwester doch noch zugelassen. Aber die Anwältin fühlte sich trotzdem weiterhin schmutzig.
Mehr als 120'000 mutmassliche Kriegsverbrechen
Russland bestreitet, Kriegsverbrechen in der Ukraine begangen zu haben und behauptet, dass einige Ereignisse, wie die Hinrichtung ukrainischer Zivilisten in der Stadt Butscha im Jahr 2022, durch die Ukraine inszeniert worden waren.
Die ukrainischen Behörden wiederum geben an, dass sie mehr als 120'000 mutmassliche Kriegsverbrechen während des Ukraine-Kriegs untersuchen.
Internationales Zentrum gegründet
Ukraine-Generalstaatsanwalt Andriy Kostin (50) erklärte Ende Februar, dass die Gerichte im Land bisher mindestens 81 Verurteilungen, die meisten in Abwesenheit, ausgesprochen und mehr als 500 Verdächtige identifiziert hätten.
Vergangenes Jahr wurde eine internationale Institution zur strafrechtlichen Verfolgung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gegründet. Das Internationale Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine bringt Staatsanwälte aus der Ukraine, der EU, den USA und vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zusammen und soll ermitteln sowie Beweise für künftige mögliche Verfahren sammeln. (jmh)