Frau Radack, sie sind Edward Snowdens Anwältin, wie geht es ihm in Russland?
Jesselyn Radack: Es geht ihm gut. Er lebt mit seiner Freundin und einem Hund in einem schönen Haus. Diese Woche sorgte er für Aufregung, da er sagte, er möchte in die USA zurückkehren. Das ist nichts Neues. Er käme unter gewissen Bedingungen zurück..
Wann?
Sicher nicht in den nächsten zwei Jahren. Ihm drohen Jahrzehnte im Gefängnis, ohne eine faire Gerichtsverhandlung. Davor hat er Angst. Er hat gesehen, wie es anderen Whistleblowern erging, wie sie alles verloren. Gleichzeitig muss der ehemalige CIA-Direktor David Petraeus nun nicht ins Gefängnis, obwohl er seiner Geliebten geheimste Informationen weitergab. Nur mächtige Menschen bekommen solche Deals. Sie geben jeden Tag geheime Informationen an die Presse. Einfache Leute jedoch, die schlimmste Verbrechen der US-Regierung enthüllten – Folter oder Überwachung – werden verfolgt. Das ist Heuchelei.
Wieso will Snowden zurück?
Er hat Amerika gern, hat sich für dieses Land aufgeopfert. Mit seinen Enthüllungen appellierte er an die demokratischen Werte der USA. Im Moment rate ich ihm aber von der Rückkehr ab. Er würde wegen des «Espionage Acts» verurteilt, einem Gesetz aus dem Ersten Weltkrieg, gedacht für Spione. Ob seine Absicht gut, ist da egal.
Was sind seine Optionen?
Wir müssen einfach abwarten. Es geht zu 99 Prozent nur um Politik. Und die ändert sich derzeit in den USA nicht. Das wird lange dauern. Wir prüfen derzeit, ob er Asyl bekommt in anderen Ländern. Wir haben einige Angebote. Es ist aber fraglich, ob er dort sicher ist.
Sie haben Snowden zuletzt vor über einem Jahr besucht. Wie kommunizieren sie mit ihm?Hochverschlüsselt! Die US-Regierung möchte sicher gerne wissen wie, aber ich sage es nicht. Als ich ihn in Moskau besuchte, nahm ich mir einen Anwalt für den Fall, dass ich bei der Rückkehr in die USA festgenommen werde. Ich benutzte Wegwerfhandys, damit ich nicht geortet werden konnte.
Sie verteidigen neben Edward Snowden weitere Enthüller. Wie hat sich das auf ihr Leben ausgewirkt?
Wegen Snowden erhalte ich Hassmails. Meine Arbeit als Anwältin hat sich komplett verändert. Seit ich Whistleblower verteidige, werde ich genau beobachtet. Einige meiner Klienten werden überwacht. Meist rede ich mit ihnen nur bei Treffen. Manchmal schieben wir uns Notizen zu.
Sie haben selbst Missstände im US-Justizdepartement aufgedeckt. Wurden sie je überwacht?
Sicher. Männer in Anzügen wühlten in meinem Müll, mein Telefon wurde abgehört. Das war beängstigend.
Was machen sie seither anders?
Ich reiste manchmal unter falschem Namen oder veränderte mein Aussehen. Ich bezahle nur mit Bargeld. Meine Telefonnummer ist geheim. Meine E-Mails sind mehrfach und komplex verschlüsselt. Ich benutze die Taktik von Drogendealern. All das haben sie mir im Studium nicht beigebracht!
Das klingt paranoid.
Ich versuche, nicht paranoid zu werden. Sondern in einem gesunden Mass vorsichtig zu sein.
Fühlen sie sich in den USA sicher?
Ich fühle mich in Deutschland sicherer als in meinem eigenen Land. Das ist ein ziemliches Statement, als Kind von Holocaust-Überlebenden! Hier in der Schweiz fühle ich mich auch sicher. Und frei.
Falls Überwachung nur einen Terrorakt verhindern würde, wäre sie dann gerechtfertigt?
Nein. Das ist, als ob man sagt, durch Folter erhaltene Informationen könnten einen Anschlag verhindern. Das ist nie passiert. Massenüberwachung hat noch nie eine Terrorattacke verhindert. Nie in den 14 Jahren seit 9/11. Dafür dürfen wir unsere Freiheiten nicht opfern.
Warum sehen die meisten Amerikaner Snowden als Verräter, statt die Überwachung anzuprangern?
Seit 9/11 wurden Milliarden Dollar ausgegeben für einen Überwachungsstaat. Nationale Sicherheit ist zur neuen Religion geworden. Viele Leute verdienen damit viel Geld. Der Sicherheitsapparat ist politisch mächtig. Information ist die Währung der Macht, deshalb werden Whistleblower verfolgt.
Steht Obama über dem Gesetz?
Die «New York Times» schrieb, Obama hätte die freie Presse, die Privatsphäre und die Meinungsfreiheit mehr beschnitten als Ex-Präsident Richard Nixon. Seit Nixon ist klar, dass kein Präsident über dem Gesetz steht. Zu einer anderen Zeit hätte es Demonstrationen gegeben. Aber wir sind alle apathisch, gefangen von Angst.
Das Leben von Whistleblower wird in den meisten Fällen ruiniert. Empfehlen sie trotzdem, Missstände öffentlich aufzudecken?
Ja. Snowden enthüllte die Überwachung, weil andere NSA-Mitarbeiter vor ihm bereits öffentlich auf Missstände hinwiesen. Das inspirierte ihn. Ich glaube, Mut ist ansteckend. Und je stärker die Regierung gegen Whistleblower kämpft, desto mehr Menschen werden ihren Mund aufmachen. Interne Meldestellen funktionieren meist nicht. Der einzige Weg ist derzeit, zu den Medien zu gehen.
Sie waren nach ihren Enthüllungen arbeitslos, hatten eine Fehlgeburt. War es das alles wert?
Ja. Ich würde es nochmals tun. Alle meine Klienten würden es wieder tun. Niemand bereut es.