Antti Rinne (56) führt das glücklichste Land der Welt. Seit einem Monat ist der Sozialdemokrat Ministerpräsident von Finnland. Die fünf Millionen Finnen sind laut dem «World Happiness Report» der Vereinten Nationen bereits zum zweiten Mal die glücklichsten Menschen der Welt.
Und Rinne ist viel daran gelegen, dass sie auch glücklich bleiben. Doch die Finnen kommen ins Schwitzen. Und das liegt nicht an den rund zwei Millionen Saunen im Land: Im Norden steigen die Durchschnittstemperaturen schneller als in anderen Teilen der Erde. Der Klimawandel bedroht den Wintertourismus und die Rentierzüchter in Lappland, die für die Wirtschaft wichtigen Wälder und die Inselgruppe Aland in der nördlichen Ostsee.
Also hat sich Rinne ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, wenn Finnland am Montag die EU-Ratspräsidentschaft von Chaos-Kandidat Rumänien übernimmt: Er will bis Ende des Jahres alle EU-Länder verpflichten, bis 2050 klimaneutral zu werden – die CO2-Emissionen also auf ein Minimum zu reduzieren und die Restwerte mit Klimaschutzmassnahmen zu kompensieren.
Sechs Monate haben die Finnen die Ratspräsidentschaft inne
Rinne rennt: Gegen die Osteuropäer wie Polen, Tschechien und Ungarn, die Zugeständnisse in Sachen Klimaschutz nur gegen EU-Gelder machen wollen – und gegen die Zeit. Nur sechs Monate bleiben Finnland, um die Staatengemeinschaft durch den Vorsitz im Rat der EU zu beeinflussen.
Die Finnen gehen mit gutem Beispiel voran. Sie bedrucken nicht haufenweise Schals oder andere der sonst üblichen Werbematerialien, kompensieren alle mit dem Amt zusammenhängenden Flüge, pflanzen neue Bäume und offerieren Gästen Leitungswasser statt Plastikflaschen. Die erste «grüne» Ratspräsidentschaft soll es werden.
Die Finnen führen in dieser Zeit die Alltagsgeschäfte der EU und leiten die Arbeit des EU-Ministerrates, der die Mitgliedsstaaten vertritt. Das bedeutet konkret den Vorsitz der formalen Ministertreffen – aber auch den von über 150 Arbeitsgruppen und Ausschüssen des Rates. Die Finnen schlüpfen in eine Gastgeberrolle, organisiert und moderiert die Treffen, erstellt die Tagesordnungen, legt die Themen fest.
Rumänien, das den Ratsvorsitz in der ersten Jahreshälfte innehatte, galt für diese Rolle als sagenhaft unvorbereitet. Angeblich standen die Finnen bereits seit Anfang Januar parat, um notfalls einzuspringen. Das bestätigt man in Regierungskreisen zwar nur hinter vorgehaltener Hand, aber es zeigt, wie ernst die Finnen die Präsidentschaft nehmen.
Die Finnen wollen die EU beeinflussen
Zweimal hatten die Finnen den turnusmässigen Ratsvorsitz bereits inne. Beide Male war es knifflig: 1999 forderte die Kosovo-Krise die EU, ein möglicher Türkei-Beitritt kam aufs Tablett und die gesamte EU-Kommission trat nach einem Korruptionsskandal zurück.
Ohne die Führungsmannschaft stürzte die EU-Behörde in eine tiefe Krise, schob Entscheidungen monatelang auf. Finnland profilierte sich in dieser Zeit als pragmatischer Problemlöser für die 15 Mitglieder. Bei der zweiten Präsidentschaft 2006 war die EU schon auf 25 Mitgliedsstaaten angewachsen, der Vorsitz entsprechend umfangreich. Heute sind es 27.
«Beide Male wurde der Ratsvorsitz sehr ernstgenommen, um die EU und ihre Agenda zu beeinflussen», erklärt Juhana Aunesluoma, Politikprofessor an der Universität Helsinki. Diesmal sei es genauso – auch wenn der Ratsvorsitz nicht mehr das gleiche bedeute wie vor dem 2007 geschlossenen Vertrag von Lissabon, der viele EU-Institutionen dauerhaft stärkte. «Die Finnen wollen Finnland aber auch sichtbar machen. Es ist ja ein vergleichsweise kleiner Mitgliedstaat, dem weniger Gehör geschenkt wird als beispielsweise Deutschland.»
Im finnischen Kabinett gibt es mehr Frauen als Männer
Drei Hauptthemen hat sich Finnland gesetzt: den Klimawandel, Wachstum und Sicherheit. Dazu soll im Herbst die neue EU-Kommission stehen, die Briten wollen bis zum 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft austreten und der Haushaltsplan der EU, der sieben Jahre umfasst, steht an. «Die Finnen sind zum Glück sehr gut in der Kompromissfindung – das hilft bei EU-Verhandlungen», sagt Aunesluoma.
Rechtzeitig haben die Finnen ihre rechtspopulistische Regierung abgewählt. Die EU-skeptischen Basisfinnen sind in die Opposition verbannt. Sozialdemokrat Rinne führt ein modernes Kabinett, in dem es erstmals eine weibliche Mehrheit gibt: 11 der 19 neuen Minister sind Frauen.
Mit seiner neuen Führungsfrauschaft tritt Rinne nun also auch an, die EU auf Vordermann zu bringen – und die Mitgliedsländer in Sachen Klimaschutz auf ein Level. «Die Zeiten der ‹ja, aber ...›-Politik sind vorbei», sagte er bestimmt zu Reportern. Ab Montag will er der EU zeigen, was Finnland kann.