Wissenschaftler sind gefordert: Vor den Küsten Portugals und Spanien kommt es seit einigen Wochen immer wieder zu unerklärlichen Orca-Angriffen auf Boote.
Im Juli und August wurden sechs Zwischenfällen an der Strasse von Gibraltar, vier vor Portugal und einer vor Galacien verzeichnet. Im September wurden vor der spanischen Nordwestküste laut Berichten mindesten 15 weitere Boote angegriffen. Da Schwertwale wandern im Sommer von Andalusien zum Biskaya-Golf, um den Thunfischen zu folgen.
Spanien ergreift Massnahmen
Derweil mussten die Behörden Massnahmen ergreifen: Das Verkehrsministerium in Madrid verhängte vor einigen Tagen in den betroffenen Gebieten ein Segelverbot für Boote und Schiffe, die weniger als 15 Meter lang sind. Die Verbotszone wurde nach weiteren Angriffen der Orcas ausgeweitet. Dabei sollen die Menschen, aber auch die Schwertwale, geschützt werden. Tierschützer und Behörden befürchten nämlich, dass es zu Gegenangriffen von Bootsbesatzungen kommt.
Die Forscher stehen vor einem kniffligen Rätsel. Eigentlich seien Orcas gesellig und verspielt. Die Angriffe auf die Boote sind aber ernst. Die Fahrzeuge erlitten dabei teils schlimme Schäden, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet.
Üben die Orcas Vergeltung?
«Die einzige klare Antwort, die wir geben können, ist, dass wir keinen blassen Schimmer haben, was da gerade vor sich geht», gesteht Juan Antonio Romero von der Stiftung Fundación Oceanográfic im Interview des Online-Wissenschaftsmagazins «Hipertextual». Einige Wissenschaftler haben aber dennoch versucht, plausible Theorien für das rätselhafte Verhalten der Orcas zu entwickeln.
Forscher Víctor Hernández hat eine ungewöhnliche Theorie. Er spricht von einem «Rachefeldzug». Offenbar kam es im Juli zu einer Attacke, bei der zwei Orca-Weibchen verletzt worden seien, unter anderem durch Harpunenschüsse. Jetzt sei es wichtig, keine Panik zu schüren, indem man die Schwertwale als gefährliche Tiere betitle. Irgendwann würde die Orca-Gruppe die Harpunen-Angriffe vergessen und zur Normalität zurückkehren.
Hat die Corona-Pandemie damit zu tun?
Deeskalation sei jetzt wichtig, rät auch Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing laut «RND». Man sollte versuchen, möglichst keine Reize für Angriffe der Orcas zu schaffen. Daher hält er das Segel-Verbot für sinnvoll.
Auch Zoologe und Ingenieur Michael Dähne findet: «Vielleicht sollte man den Tieren ihren Lebensraum noch ein bisschen weiter überlassen – und auf keinen Fall aggressiv ihnen gegenüber werden.» Dähne hält es ausserdem für möglich, dass eine Krankheit das seltsame Verhalten der Orcas ausgelöst haben könnte.
Und Biologin María del Carmen Rodríguez vermutet, dass die Corona-Pandemie mit den Angriffen zu tun haben könnte. Sie sagt gegenüber dem spanischen Radiosender Cope: «Die Tiere hatten sich vielleicht an die Ruhe gewöhnt, die der monatelange Lockdown bei uns auch den Meeren gebracht hatte. Als es im Sommer dann plötzlich wegen des zunehmenden Schiffsverkehrs wieder deutlicher lauter wurde, hat der Lärm die Tiere vielleicht gestresst und aufgebracht.» (zbc)