Die Stimmung im «Idomeni» von Como (I) droht zu kippen. Seit heute Morgen sind Mitarbeiter des neuen Container-Dorfes im wilden Zeltlager am Bahnhof San Giovanni unterwegs. Ihre Mission: Die Flüchtlinge sollen weg aus dem Park und im vorübergehenden Flüchtlingsheim unterkommen. Doch die meisten wollen nicht ins neue Camp.
«Wir weichen nicht von hier», sagt Mohammad (17) aus dem Sudan, «wir wollen nur eines: Über die Schweizer Grenze weiter nach Deutschland.» Vom Bahnhof sei es einfacher in den Zug zu steigen und sein Glück zu versuchen. Neun Mal ist Mohammed schon in Chiasso TI gelandet. Jedes Mal schickt ihn die Schweizer Grenzwacht wieder zurück nach Como. «Die kennen mich dort schon«, sagt der Flüchtling.
Mohammad ist nicht der Einzige. Auch Dahir (18) und Dechas (17) aus dem zur Zeit umkämpften Oromia in Äthiopien, denken nicht daran, die Zelte am Bahnhof abzureissen. «Ich bin schon zweimal fast gestorben auf dem Weg hierher», sagt Dechas, «einmal in der Wüste und einmal auf dem Mittelmeer. Ich werde in kein Lager gehen. Die kenne ich schon.» Dort würde man registriert und eingesperrt. «Ich weiss das. Ich war im Camp von Montesilvano bei Taranto und in einem Lager im Mailand«, sagt Dechas.
Auch die jungen Mädchen zeigen sich Entschlossen. Rosa (18) aus Äthiopien krallt sich an ihren roten Koffer. Sie will zur Familie nach Deutschland, «und nicht in ein Flüchtlingsheim, wo ich dann bleiben muss», sagt die junge Frau.
Überforderte Helfer
Roberto Bernasconi (65) und seine Helfer haben ihre liebe Mühe, die Flüchtlinge zu überzeugen. Ein Dach über dem Kopf. Ein Bett. Warme Mahlzeiten. Duschen. Juristische Beratung und medizinische Betreuung. All die guten Argumente für das nagelneue Container-Dorf in nur zwei Kilometern Entfernung verpuffen angesichts des Misstrauens. Selbst, dass das Tor von 7.30 Uhr bis 22.30 Uhr offen stehe und dort keine Fingerabdrücke genommen würden, können viele Flüchtlinge nicht umstimmen.
Gegen Mittag kommt es zu einem Streit in Park. Einige nordafrikanische Flüchtlinge gehen auf Musa Osikhena los (17). Der 1.90 Meter grosse Nigerianer trägt den Sticker, den jeder «Gast» im Container-Dorf bekommt. «Sie wollten mich einschüchtern«, sagt der Teenager, «aber sie machen mir keine Angst. Ich bin hier, um allen zu sagen, dass sie doch ins Zentrum gehen sollen. Dort ist so viel besser als hier im Park.»
Musa Osikhena kam vor fünf Monaten nach Italien. Er lernt eifrig die Sprache. «Ich habe in Italien Asyl beantragt, fühle mich hier wohl. Auch die anderen sollten besser in Italien bleiben und nicht immer versuchen, nach Deutschland oder in die Schweiz zu gelangen.«
»Die Flüchtlinge sind nervös. Sie trauen dem Frieden nicht«, weiss Helfer Mattia Stancanelli (32), «wer garantiert ihnen, dass nicht doch die Tore im Zentrum geschlossen werden und sie nicht mehr raus kommen?» Sie hätten in der Vergangenheit zu schlechte Erfahrungen gemacht.
Hunger als Druckmittel
Die italienische Polizei hält sich derweilen zurück. Am Park stehen zwar drei Mannschaftswagen, doch die Beamten bleiben im Hintergrund. Seit heute wird kein Essen mehr verteilt. Die Notduschen sind abgebaut. Der Hunger wird die Flüchtlinge schon ins Container-Dorf treiben, so die Hoffnung der Behörden. Wer trotz allem nicht weicht, wird in eine Lager nach Süditalien gebracht.
Noch drei, vier Tage wollen die Polizisten die Situation beobachten. Bis Ende Woche aber sollen Park und Bahnhof wieder ganz den Comer Bürgern gehören. Und den Touristen, die heute noch über Bettenlager am Bahnsteig steigen. «Ich war schockiert», sagt Chinesin Yang Hong (33), «dieses Elend hatte ich auf meiner Italien-Reise nicht erwartet.» Freund Nicolas Drouet (34) aus Paris sagt: «Wenn die Flüchtlinge in einem Heim unterkämen, dann wäre doch allen geholfen. Den Gestrandeten und den Touristen.»