Übergabe der Amtsgeschäfte an «President-elect» lässt auf sich warten
Diese Steine legt Präsident Trump Wahlsieger Biden in den Weg

Die Regierung von Noch-US-Präsident Donald Trump verweigert Wahlsieger Joe Biden die gesetzlich vorgesehene Unterstützung bei der Übernahme der Amtsgeschäfte. Das, so eine Wahlkommissarin, sei eine «in der amerikanischen Geschichte beispiellose» Weigerung.
Publiziert: 11.11.2020 um 06:04 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2020 um 14:19 Uhr
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Der Amtsinhaber will noch nichts von einer Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger wissen.
Foto: AFP

Die Regierung des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump (74) verweigert Wahlsieger Joe Biden (77) die gesetzlich vorgesehene Unterstützung bei der Übernahme der Amtsgeschäfte. Die Blockadehaltung dürfte Biden den Start erschweren - und das inmitten einer beispiellosen Pandemie und Wirtschaftskrise. Die meisten Experten sind sich einig: Für Biden und seine Mannschaft zählt eigentlich jeder Tag.

Die geordnete Übergabe der Amtsgeschäfte («transition») nach einer Präsidentenwahl ist seit fast 60 Jahren im Gesetz verankert. Damit wollte der Kongress sicherstellen, dass sich Amerikaner immer darauf verlassen können, eine funktionierende Regierung zu haben. «Jegliche durch die Übergabe der Regierungsgeschäfte verursachte Unterbrechung könnte Ergebnisse zur Folge haben, die für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Vereinigten Staaten und der Bürger schädlich sind», hiess es 1963 zur Begründung des Gesetzes.

Wieso ist die «Transition» so wichtig?

Der US-Präsident ist der mächtigste Mann der westlichen Welt. Er muss vom ersten Tag an voll einsatzbereit sein: Er wird Oberbefehlshaber der Streitkräfte sein, die Verantwortung für gut 1,3 Millionen Soldaten haben und über die Codes verfügen, um im Notfall den Einsatz von Atomwaffen zu genehmigen. Er und seine Regierung werden für einen Haushalt in Höhe von fast fünf Billionen US-Dollar (5,4 Billionen Franken) verantwortlich sein. Auch die Pandemie und die Wirtschaftskrise werden dem Präsidenten kaum Zeit zur Einarbeitung lassen.

Neu gewählte Präsidenten nutzen die zweieinhalb Monate zwischen der Abstimmung und der Amtseinführung mit Nachdruck, um ihre Regierungsmannschaft zusammenzustellen. Dabei geht es nicht nur um das Kabinett, Staatssekretäre und Behördenleiter. Der Präsident muss auch Tausende Stellen im Weissen Haus, in Ministerien und in Behörden schnell neu besetzen. Rund 1200 der Personalien müssen dabei noch vom Senat abgesegnet werden. Ein gewählter Präsident muss daher so früh wie möglich mit der Personalplanung beginnen, um seine Politik umsetzen zu können.

Wieso ist das unter Trump nun ein Problem?

Das Gesetz zur Übergabe der Amtsgeschäfte räumt der wenig bekannten Behörde GSA, die der Regierung als Dienstleister in Sachen Immobilien und Ausrüstung dient, eine wichtige Rolle ein. Die von Trump ernannte Leiterin der Behörde, Emily Murphy, muss nach der Wahl die Feststellung treffen, wer die «offensichtlich erfolgreichen Kandidaten» für das Präsidenten- und das Vize-Amt sind. Erst mit ihrem Schreiben, das normalerweise als Formalie angesehen wird, kann die Amtsübergabe formell eingeleitet werden. Murphy weigert sich aber, Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris (56) als Wahlsieger anzuerkennen.

Wieso blockiert die Behördenleiterin?

Murphy folgt Trumps Argumentation, dass die Wahl angesichts von Betrugsvorwürfen und laufenden Klagen noch nicht final entschieden sei. Damit könnte sie Biden und Harris theoretisch noch wochenlang hinhalten. Beglaubigte Endergebnisse der Wahl aus allen Bundesstaaten wird es erst zum 8. Dezember geben, knapp eine Woche bevor die Wahlleute ihre Stimmen für den nächsten Präsidenten abgeben. Das Ergebnis der Abstimmung wird erst am 6. Januar im Kongress bekanntgegeben - erst dann herrscht absolute Rechtssicherheit.

Hat es sowas schon mal gegeben?

Im Jahr 2000 weigerte sich der Leiter der relativ unpolitischen Dienstleistungsbehörde GSA («General Services Administration») zum ersten Mal, festzustellen, wer die Wahl «offensichtlich» gewonnen hatte. Damals hing das Rennen zwischen George W. Bush (74) und Al Gore (72) am extrem knappen Ergebnis im Bundesstaat Florida.

Es kam zu Klagen und teils auch Neuauszählungen. Ganz Amerika hielt damals den Atem an, weil nicht klar war, wer der nächste Präsident sein würde - bis Gore nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts seine Niederlage einräumte. In den übrigen Jahren wurde das GSA-Schreiben meist unmittelbar nach der Wahl ausgestellt.

Was genau entgeht Biden ohne die formelle Übergabe?

Mit dem GSA-Schreiben bekäme Biden Millionen Dollar für Gehälter und andere Ausgaben sowie Büroräume und E-Mail-Adressen der Regierung zur Verfügung gestellt. Noch viel wichtiger dürfte aber sein, dass seine Teams damit ganz offiziell Zugang zu allen Regierungsstellen bekämen. Hunderte von Bidens Mitarbeitern sollen in die Ministerien und Behörden entsandt werden, um dort alle wichtigen Informationen zu sammeln und die Übergabe einzuleiten. Allein für das Verteidigungsministerium hat Biden zum Beispiel 23 Mitarbeiter seines Übergangsteams benannt.

Alle Behörden haben dem Gesetz folgend zudem bereits Dokumente für die Übergabe vorbereitet, die teils Hunderte Seiten lang sind. Ohne das GSA-Schreiben kann Bidens Team aber kaum wissen, welche Regierungsstelle gerade was macht. Auch die vertraulichen Lageberichte der Regierung zum Stand der Corona-Pandemie wird Bidens Team daher erst mal nicht bekommen. Zudem müssen die wichtigsten Mitarbeiter des neuen Präsidenten schon in der Übergangsphase die - teils aufwendigen - Überprüfungen durchlaufen, um die Erlaubnis zur Einsicht geheimer Informationen («security clearance») zu bekommen.

Wie schwierig wird es ohne ordentliche Übergabe?

Demokraten und auch einzelne Republikaner haben die Weigerung Murphys verurteilt, zumal die Zeit für die komplexe Übergabe selbst im besten Fall knapp bemessen ist. Biden hält sich bislang bedeckt und betont, er werde den Präsidenten in jedem Fall am 20. Januar ablösen. «Ehrlich gesagt, wir sehen nichts, was uns dabei ausbremst», sagte er am Dienstag. Er sehe trotz der Weigerung Murphys keinen Bedarf für rechtliche Schritte. Sein Team fordert die Behördenchefin aber gleichzeitig mit Nachdruck auf, das nötige Schreiben auszustellen.

Der Demokrat David Axelrod (65), der 2008 an der Übergabe an Barack Obama (59) beteiligt war, nannte die Blockadehaltung «umstürzlerisch» und gefährlich für die Sicherheit des Landes. Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton (71) sagte, ein «vernünftiger» Präsident müsse die Amtsübergabe einleiten, selbst wenn es noch Streit um das endgültige Wahlergebnis gebe.

Eine Kommissarin der Wahlkommission des Bundes (FEC), Ellen Weintraub (63), verurteilte Murphys Blockadehaltung am Dienstag. Angesichts der Pandemie müsse die Regierung Bidens «vom ersten Tag an voll einsatzbereit sein wie wenige vor ihr», schrieb die Demokratin an Murphy. Die Sachlage im Hinblick auf die Wahlergebnisse sei die gleiche wie 2016, als das Schreiben für Trump rasch ausgestellt wurde. Der einzige Unterschied sei die «in der amerikanischen Geschichte beispiellose» Weigerung Trumps, seine Niederlage einzugestehen. Dies habe aber keine rechtliche Wirkung. «Jeder Tag, jede Stunde» Verzögerung mindere die Erfolgschancen Bidens

Wie kann das sein, dass nicht sicher ist, wer gewonnen hat?

Es gibt in den USA auf Bundesebene kein Wahlamt und keinen Bundeswahlleiter, der zeitnah die Ergebnisse sammeln und verbindlich verkünden würde. Daher fällt führenden US-Medien die Rolle zu, den Wahlsieger aufgrund erster Ergebnisse und eigener Berechnungen zu verkünden.

Die Nachrichtenagentur «AP» etwa hat nach eigenen Angaben seit 1848 bei den Präsidentenwahlen den Gewinner vermeldet. Das etablierte System funktioniert. Die Medien erklärten am Samstag Biden zum Sieger. Trump weigert sich aber, seine Niederlage einzugestehen und setzt nun auf den Rechtsweg. (SDA)

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