Amnesty International veröffentlicht Bericht
Ukrainisches Militär gefährdet eigene Bevölkerung

Das ukrainische Militär gefährdet die Zivilbevölkerung, indem es Stützpunkte in Krankenhäusern, Wohngebieten und Schulen aufbaut. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht von Amnesty International.
Publiziert: 04.08.2022 um 05:21 Uhr
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Das ukrainische Militär nutzt zivile Einrichtungen als militärische Stützpunkte, wie Amnesty International berichtet.
Foto: keystone-sda.ch

Das ukrainische Militär hat die eigene Zivilbevölkerung in Gefahr gebracht, indem es militärische Stützpunkte in Wohngebieten, Krankenhäusern und Schulen errichtet und in bewohnten Gebieten operiert hat. Zu diesem Schluss kommt die Organisation «Amnesty International».

«Die ukrainischen Streitkräfte gefährden Zivilisten und Zivilistinnen und verletzen das Kriegsrecht, wenn sie in bewohnten Gebieten operieren», sagte Agnès Callamard (57), Generalsekretärin von Amnesty International. «Dass sich die Ukraine in einer Verteidigungsposition befindet, entbindet das ukrainische Militär nicht von der Einhaltung des humanitären Völkerrechts.»

Stützpunkte liegen kilometerweit von Front entfernt

Während mehrerer Monate hat die Organisation eine Vielzahl von Beweisen für den Aufenthalt des ukrainischen Militärs in zivilen Gebieten gesammelt. In insgesamt 19 Ortschaften in den Regionen Charkiw, Donbass und Mykolaiv sollen demnach Angriffe von bewohnten Wohngebieten aus gestartet worden sein. Zudem sollen sich ukrainische Soldaten in zivilen Gebäuden verschanzt haben.

Unverständlich sei das vor allem, da der Grossteil dieser Stützpunkte kilometerweit von der Frontlinie entfernt liegen würden. Es gebe praktikable Alternativen, die die Zivilbevölkerung nicht gefährdet hätten, wie Militärbasen oder dicht bewaldete Gebiete, so die Organisation.

In den von Amnesty International dokumentierten Fällen sei zudem die Zivilbevölkerung nicht dazu aufgefordert worden, das Gebiet zu verlassen. «Das Militär versäumte es, alle möglichen Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu treffen», heisst es in dem Bericht.

Zeugen berichten: «Wir zahlen den Preis dafür»

Zeugen russischer Angriffe in den Regionen Donbass, Charkiw und Mykolaiv berichteten der Organisation, dass das Militär zum Zeitpunkt der Angriffe in der Nähe ihrer Häuser operiert und die Gebiete dem Vergeltungsfeuer der russischen Streitkräfte ausgesetzt hatte.

Eine Frau, die ihren 50-jährigen Sohn bei einem russischen Raketenangriff nahe Mykolaiv verloren hat, erzählt: «Das Militär hielt sich in einem benachbarten Haus auf. Mein Sohn brachte den Soldaten oft Essen. Ich habe ihn mehrmals angefleht, sich von dort fernzuhalten, weil ich Angst um seine Sicherheit hatte. Am Nachmittag, als der Angriff erfolgte, befand sich mein Sohn im Hof, ich war im Haus. Er war auf der Stelle tot. Sein Körper wurde in Stücke gerissen. Unser Haus wurde teilweise zerstört.»

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Auch in Bakhmut kam es zu Angriffen auf zivile Ziele, weil ukrainische Truppen ein Wohnhaus besetzten. Mehrere Anwohner berichteten, dass das Militär ein Gebäude, das nur 20 Meter von einem Wohnhochhaus entfernt liegt, beschossen hat.

Ende Mai schlug dort eine russische Rakete ein, fünf Wohnungen wurden zerstört und benachbarte Gebäude beschädigt. Eine Bewohnerin, die den Anschlag überlebt hatte, sagte: «Ich habe nicht verstanden, was passiert ist. Es gab zerbrochene Fenster und eine Menge Staub in meiner Wohnung. Ich bin hiergeblieben, weil meine Mutter nicht gehen wollte. Sie hat gesundheitliche Probleme.»

Amnesty International fand Anzeichen für die Präsenz des Militärs in und ausserhalb des Gebäudes, darunter Sandsäcke und schwarze Plastikplanen, die die Fenster abdeckten, sowie neue, in den USA hergestellte Erste-Hilfe-Ausrüstung. «Wir haben kein Mitspracherecht bei dem, was das Militär tut, aber wir zahlen den Preis dafür», sagte ein Anwohner, dessen Haus bei dem Einschlag beschädigt wurde.

Klarer Verstoss gegen humanitäres Völkerrecht

Auch in einer Vielzahl von Schulen und Krankenhäusern sollen ukrainische Soldaten ihre Lager aufgeschlagen haben. In zwei Städten ruhten sich Dutzende von Soldaten in den Krankenhäusern aus und nahmen Mahlzeiten ein. In einer anderen Stadt feuerten die Soldaten aus der Nähe des Krankenhauses, so die Organisation.

Die Nutzung von Krankenhäusern für militärische Zwecke ist ein klarer Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht, sagt Amnesty International.

«Die ukrainische Regierung sollte unverzüglich dafür sorgen, dass ihre Streitkräfte nicht in bewohnten Gebieten stationiert werden. Sie sollte Zivilpersonen aus Gebieten evakuieren, in denen das Militär operiert», fordert Generalsekretärin Agnès Callamard abschliessend.

Im Bericht heisst es aber auch: Die Praxis des ukrainischen Militärs, zivile Objekte für militärische Zwecke zu nutzen, würde trotzdem in keiner Weise die russischen Angriffe rechtfertigen. (chs)

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