Spanisches Parlament stürzt Regierungschef Mariano Rajoy
0:58
Neuordnung in Spanien:Spanisches Parlament stürzt Regierungschef Mariano Rajoy

Am Sonntag wählt Spanien – BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen
Der «schöne» Pedro steht vor einer hässlichen Wahl

Weil das Parlament seinen Haushaltsentwurf abgelehnt hat, muss Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez Neuwahlen durchführen. Seine sozialistische Partei könnte am 28. April mehr Stimmen als zuvor bekommen – und trotzdem der grosse Verlierer sein.
Publiziert: 26.04.2019 um 16:54 Uhr
|
Aktualisiert: 30.04.2019 um 17:05 Uhr
1/16
Weil das Parlament seinen Haushaltsentwurf abgelehnt hat, musste Spaniens Regierungschef Neuwahlen ausrufen.
Foto: Getty Images

Jung, attraktiv und erfahren auf dem internationalen Politik-Parkett: das ist Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez (47). In seiner kurzen Amtszeit hat der «schöne» Sánchez eine gute Figur gemacht. Trotzdem muss er sich nach nur neun Monaten geschlagen geben. Sein Versuch, eine politische Lösung für den Katalonien-Konflikt zu finden, ist krachend gescheitert.

Am Sonntag müssen die Spanier darum erneut an die Urne – es sind die dritten Parlamentswahlen in vier Jahren. Doch ob das die politischen Probleme im Land löst, ist fraglich. BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen zur Wahl.

Warum musste Sánchez Neuwahlen ausrufen?

Das Parlament hat dem Haushaltsentwurf von Sánchez' sozialistischer Minderheitsregierung im Februar die Zustimmung verweigert. Dabei hätte Katalonien davon finanziell kräftig profitiert!

Trotzdem stimmten die katalanischen Unabhängigkeitsparteien dagegen: Sie hätten eine Neuwahl verhindern können, straften Sánchez aber ab, weil er nicht vollständig auf ihre Forderungen eingegangen war.

Was fordern die Katalanen im Parlament?

Das Maximum, alles oder nichts: Sie wollen das Recht auf ein Referendum über die Unabhängigkeit, einen internationalen Vermittler im Katalonien-Konflikt und eine Einflussnahme auf den aktuell laufenden Prozess gegen die angeklagten Separatisten-Führer.

Wofür steht Regierungschef Pedro Sánchez?

Der sozialistische Regierungschef ist erst im vergangenen Juni nach einem Misstrauensvotum gegen seinen konservativen Vorgänger Mariano Rajoy (64) ins Amt gekommen – unterstützt von der linkspopulistischen Podemos-Partei und den regionalen Nationalisten aus dem Baskenland und Katalonien.

Zuvor arbeitet der 47-Jährige unter anderem für die Uno in Sarajevo. Sánchez packte in seiner kurzen Amtszeit einige Baustellen an. Er steht für eine menschlichere Flüchtlingspolitik und versprach eine Anhebung des Mindestlohns um 22 Prozent.

Und: Er scheute sich nicht, den Katalanen konkrete Zugeständnisse zu machen – zum Ärger der Opposition. Dass er darüber nachdachte, einen «Berichterstatter» oder «Vermittler» im Katalonien-Konflikt zu akzeptieren, passte Pablo Casado (38) überhaupt nicht. Der Vorsitzende der Volkspartei PP überzog Sánchez dafür mit wüsten Beschimpfungen.

Angesichts der schwachen Position der Sozialisten mit nur 84 von insgesamt 350 Abgeordneten hatte Sánchez bereits befürchtet, irgendwann Neuwahlen ansetzen zu müssen – nun finden sie eher früher als später statt.

Wer gewinnt die Neuwahlen?

Das Parteiensystem in Spanien ist zersplittert, die lange übliche Ein-Parteien-Regierung passé. Die Regierungsbildung könnte am Ende von den extremen Parteien abhängen – oder die Zentrumsparteien reissen sich am Riemen und bilden eine grosse Koalition.

Sánchez und seine sozialistische PSOE könnte zwar bis zu 30% der Stimmen bekommen und damit vermutlich deutlich über 100 Mandate gewinnen – doch der Zugewinn reicht auch für eine linke Koalition mit Podemos nicht, da die Linkspopulisten gleichzeitig an Zustimmung verlieren.

Auf der rechten Seite des Zentrums stehen die Volkspartei PP, die liberale Ciudadanos und ein neuer Player: Vox. Die Rechtspopulisten unter dem bärtigen Vorsitzenden Santiago Abascal (43) ziehen voraussichtlich das erste Mal ins Parlament ein. Doch auch mit ihnen ist dem konservativen Lager keine Mehrheit sicher.

Das Zünglein an der Waage könnten am Ende erneut die katalanischen Nationalisten bilden. Das könnte den Konflikt verschärfen.

Welchen Einfluss haben die Auslandsspanier?

Auslandsspaniern haben es seit einer Rechtsreform schwerer, sich an der Wahl zu beteiligen. Seit 2011 müssen sie extra zum nächsten Konsulat, um einen Wahlantrag zu stellen. In der Schweiz gibt es dafür nur die Botschaft in Bern und das Generalkonsulat in Zürich.

Seit 2010 haben mindestens eine Millionen Spanier das Land verlassen – darunter viele junge, gut ausgebildete Leute. In der Schweiz leben nach Zahlen des Migrationsamts aktuell 84'529 Spanier (Stand: Februar 2019).

Was bewegt die Spanier?

Das grösste Problem ist für die Spanier ist laut der neusten Umfrage von Spanischen Zentrum für Soziologische Forschung (CIS) die hohe Arbeitslosigkeit – gefolgt von Korruption und Betrug sowie Spaniens Politik, Politiker und Parteien.

Was macht eigentlich Puigdemont?

Der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont (56) tritt bei den Parlamentswahlen nicht an – weil in Spanien ein Haftbefehl gegen ihn läuft, lebt er noch immer im Exil.

Trotzdem will er zurück aufs politische Parkett. Bei der Europawahl Ende Mai versucht er es als Spitzenkandidat seines Wahlbündnisses. «Ziel ist es, die Stimme Kataloniens, das eine unabhängige Republik sein will, ins Herz der europäischen Volksvertretung zu bringen», sagte Puigdemont Anfang April in Brüssel.

Ob der Unabhängigkeitsbefürworter als spanischer Abgeordneter ins EU-Parlament einziehen könnte, ist allerdings nicht sicher. Denn: Das spanische Wahlrecht schreibt vor, dass EU-Abgeordnete zu Beginn ihres Mandats in Madrid auf die Verfassung schwören müssen. Dort würde Puigdemont dann Festnahme und Prozess drohen.

Der 56-Jährige hofft nun darauf, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits parlamentarische Immunität geniesst.

Kataloniens Kampf für die Unabhängigkeit

Der Streit um die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens stürzte Spanien vor rund anderthalb Jahren in eine Staatskrise. Vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid hat am Dienstag der Prozess gegen führende Politiker der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung begonnen. Ein Überblick über den Verlauf der Ereignisse:

2006

  • 30. März: Das von Sozialisten dominierte Parlament in Madrid verabschiedet eine neue Autonomiecharta für Katalonien. Die Region im Nordosten Spaniens erhält mehr Vollmachten im Steuer- und Justizbereich, die Katalanen werden als «Nation» bezeichnet.
  • 31. Juli: Die oppositionelle konservative Volkspartei (PP) legt gegen die Autonomiecharta Beschwerde ein.

2010

  • 28. Juni: Das spanische Verfassungsgericht gibt der PP-Beschwerde teilweise Recht. Es erkennt den Katalanen den Status einer «Nation» ab und stuft den Hinweis auf Katalanisch als «bevorzugte» Amtssprache als verfassungswidrig ein.

2012

  • 11. September: Auf dem Höhepunkt der spanischen Wirtschaftskrise gibt es in Barcelona Massendemonstrationen für die Unabhängigkeit. Die Proteste am katalanischen «Nationalfeiertag» (Diada) wiederholen sich in den Folgejahren.

2014

  • 9. November: Kataloniens Regionalpräsident Artur Mas lässt trotz eines Verbots des Verfassungsgerichts ein rechtlich nicht bindendes Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Die Wahlbeteiligung liegt bei 37 Prozent. Davon stimmen gut 80 Prozent für Kataloniens Unabhängigkeit.

2015

  • 27. September: Bei der Regionalwahl in Katalonien gewinnt das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter die absolute Mehrheit.

2016

  • 10. Januar: Der Unabhängigkeitsbefürworter Puigdemont wird Regionalpräsident. Er bereitet die Loslösung von Spanien vor.

2017

  • 1. Oktober: Gegen den Widerstand der Zentralregierung und der spanischen Justiz lässt Puigdemont in Katalonien ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Die spanische Polizei geht gewaltsam gegen Wähler und Demonstranten vor, es gibt hunderte Verletzte.
  • 2. Oktober: Laut Regionalregierung stimmen bei dem Referendum 90 Prozent für die Unabhängigkeit - bei einer Beteiligung von rund 43 Prozent.
  • 27. Oktober: Das Regionalparlament in Barcelona beschliesst die Abspaltung Kataloniens. Der spanische Senat reagiert mit der Entmachtung der Regionalregierung. Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy von der PP erklärt Puigdemont für abgesetzt und kündigt Neuwahlen an. Puigdemont setzt sich daraufhin nach Brüssel ab.
  • 21. Dezember: Bei der Neuwahl erringt das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter abermals die Mehrheit im Regionalparlament.

2018

  • 23. März: Gegen Puigdemont und zwölf weitere katalanische Unabhängigkeitsbefürworter wird Anklage erhoben.
  • 25. März: Puigdemont wird auf dem Rückweg von einem Besuch in Finnland von der Polizei im deutschen Schleswig-Holstein festgenommen.
  • 5. April: Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht erklärt eine Auslieferung Puigdemonts an Spanien wegen des Vorwurfs der «Rebellion» für unzulässig. Puigdemont kann einen Tag später unter Auflagen das Gefängnis verlassen, muss aber zunächst in Deutschland bleiben.
  • 19. Juli: Das Oberste Gericht in Madrid zieht einen europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont zurück.
  • 28. Juli: Puigdemont kehrt in sein Brüsseler Exil zurück.
  • 2. Juni: Die neue katalanische Regierung unter Regionalpräsident Quim Torra wird vereidigt. Die monatelange Zwangsverwaltung durch Madrid endet.
  • 9. Juli: Spaniens neuer Ministerpräsident Pedro Sánchez empfängt Torra zu Beratungen in Madrid. Der Sozialdemokrat setzt anders als sein Vorgänger Rajoy stärker auf Dialog, um den Konflikt zu entschärfen.
  • 11. September: Etwa eine Million Menschen demonstrieren in Barcelona für die Unabhängigkeit Kataloniens.
  • 2. November: Die spanische Staatsanwaltschaft fordert langjährige Haftstrafen für zwölf Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Die höchste Strafe von 25 Jahren Gefängnis wegen «Rebellion» verlangt sie für den ehemaligen stellvertretenden Regionalpräsidenten Oriol Junqueras.

2019

  • 10. Februar: Ein Bündnis aus rechten und rechtsextremen spanischen Parteien bringt in Madrid zehntausende Demonstranten gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens und gegen den Kurs von Sánchez auf die Strasse.
  • 12. Februar: Vor dem Obersten Gerichtshof beginnt der Prozess gegen die zwölf angeklagten Anführer der Unabhängigkeitsbewegung. Puigdemont bleibt das Verfahren erspart, da die spanische Justiz keine Prozesse in Abwesenheit des Angeklagten führt.
Der frühere Regionalpräsident Carles Puigdemont hat sich nach Belgien ins Exil abgesetzt. Ihm droht eine jahrelange Haftstrafe.

Der Streit um die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens stürzte Spanien vor rund anderthalb Jahren in eine Staatskrise. Vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid hat am Dienstag der Prozess gegen führende Politiker der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung begonnen. Ein Überblick über den Verlauf der Ereignisse:

2006

  • 30. März: Das von Sozialisten dominierte Parlament in Madrid verabschiedet eine neue Autonomiecharta für Katalonien. Die Region im Nordosten Spaniens erhält mehr Vollmachten im Steuer- und Justizbereich, die Katalanen werden als «Nation» bezeichnet.
  • 31. Juli: Die oppositionelle konservative Volkspartei (PP) legt gegen die Autonomiecharta Beschwerde ein.

2010

  • 28. Juni: Das spanische Verfassungsgericht gibt der PP-Beschwerde teilweise Recht. Es erkennt den Katalanen den Status einer «Nation» ab und stuft den Hinweis auf Katalanisch als «bevorzugte» Amtssprache als verfassungswidrig ein.

2012

  • 11. September: Auf dem Höhepunkt der spanischen Wirtschaftskrise gibt es in Barcelona Massendemonstrationen für die Unabhängigkeit. Die Proteste am katalanischen «Nationalfeiertag» (Diada) wiederholen sich in den Folgejahren.

2014

  • 9. November: Kataloniens Regionalpräsident Artur Mas lässt trotz eines Verbots des Verfassungsgerichts ein rechtlich nicht bindendes Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Die Wahlbeteiligung liegt bei 37 Prozent. Davon stimmen gut 80 Prozent für Kataloniens Unabhängigkeit.

2015

  • 27. September: Bei der Regionalwahl in Katalonien gewinnt das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter die absolute Mehrheit.

2016

  • 10. Januar: Der Unabhängigkeitsbefürworter Puigdemont wird Regionalpräsident. Er bereitet die Loslösung von Spanien vor.

2017

  • 1. Oktober: Gegen den Widerstand der Zentralregierung und der spanischen Justiz lässt Puigdemont in Katalonien ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Die spanische Polizei geht gewaltsam gegen Wähler und Demonstranten vor, es gibt hunderte Verletzte.
  • 2. Oktober: Laut Regionalregierung stimmen bei dem Referendum 90 Prozent für die Unabhängigkeit - bei einer Beteiligung von rund 43 Prozent.
  • 27. Oktober: Das Regionalparlament in Barcelona beschliesst die Abspaltung Kataloniens. Der spanische Senat reagiert mit der Entmachtung der Regionalregierung. Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy von der PP erklärt Puigdemont für abgesetzt und kündigt Neuwahlen an. Puigdemont setzt sich daraufhin nach Brüssel ab.
  • 21. Dezember: Bei der Neuwahl erringt das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter abermals die Mehrheit im Regionalparlament.

2018

  • 23. März: Gegen Puigdemont und zwölf weitere katalanische Unabhängigkeitsbefürworter wird Anklage erhoben.
  • 25. März: Puigdemont wird auf dem Rückweg von einem Besuch in Finnland von der Polizei im deutschen Schleswig-Holstein festgenommen.
  • 5. April: Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht erklärt eine Auslieferung Puigdemonts an Spanien wegen des Vorwurfs der «Rebellion» für unzulässig. Puigdemont kann einen Tag später unter Auflagen das Gefängnis verlassen, muss aber zunächst in Deutschland bleiben.
  • 19. Juli: Das Oberste Gericht in Madrid zieht einen europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont zurück.
  • 28. Juli: Puigdemont kehrt in sein Brüsseler Exil zurück.
  • 2. Juni: Die neue katalanische Regierung unter Regionalpräsident Quim Torra wird vereidigt. Die monatelange Zwangsverwaltung durch Madrid endet.
  • 9. Juli: Spaniens neuer Ministerpräsident Pedro Sánchez empfängt Torra zu Beratungen in Madrid. Der Sozialdemokrat setzt anders als sein Vorgänger Rajoy stärker auf Dialog, um den Konflikt zu entschärfen.
  • 11. September: Etwa eine Million Menschen demonstrieren in Barcelona für die Unabhängigkeit Kataloniens.
  • 2. November: Die spanische Staatsanwaltschaft fordert langjährige Haftstrafen für zwölf Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Die höchste Strafe von 25 Jahren Gefängnis wegen «Rebellion» verlangt sie für den ehemaligen stellvertretenden Regionalpräsidenten Oriol Junqueras.

2019

  • 10. Februar: Ein Bündnis aus rechten und rechtsextremen spanischen Parteien bringt in Madrid zehntausende Demonstranten gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens und gegen den Kurs von Sánchez auf die Strasse.
  • 12. Februar: Vor dem Obersten Gerichtshof beginnt der Prozess gegen die zwölf angeklagten Anführer der Unabhängigkeitsbewegung. Puigdemont bleibt das Verfahren erspart, da die spanische Justiz keine Prozesse in Abwesenheit des Angeklagten führt.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?