«Wir hofften, dass es nicht dazu kommen würde», meldete Islands Vulkanzentrum am späten Freitag auf X. «Heute Abend erhielten alle Bewohner von Grindavik diese Nachricht per SMS: ‹Evakuierung – Alle Bewohner im Gebiet von Grindavik. Evakuieren Sie das Gebiet.›»
Bilder auf sozialen Medien zeigen, wie Erdbeben erste Strassen aufreissen. Allein seit Ende Oktober wurden im Gebiet rund 24'000 Erdstösse gemessen. Am Freitag waren es zwischen Mitternacht und 14 Uhr (Ortszeit) etwa 800 Beben rund drei Kilometer nördlich des 4000-Einwohner-Ortes Grindavik.
Es sei noch keine Notevakuierung, so die Warnung. Diese hätte innert 30 Minuten zu erfolgen. Den Anwohnern bleiben mehrere Stunden. Doch die Zeit wird knapp. Aufgrund der anhaltenden schweren Erdbebenserie auf Island warnen jetzt die Behörden auf der Nordatlantik-Insel vor noch stärkeren Beben und einem möglicherweise bevorstehenden Vulkanausbruch.
«Deutlich» mehr Magma
Die Erschütterungen in der Nähe des Ortes Grindavik könnten noch heftiger werden und letztlich zu einer Eruption führen, teilte die isländische Polizei am Freitagabend mit.
Aufgrund der anhaltenden schweren Erdbebenserie sei am späten Freitagabend vorsichtshalber die Evakuierung der Ortschaft angeordnet worden. Es werde weiterhin geprüft, ob sich das Magma der Erdoberfläche nähere.
Denn direkt unterhalb von Grindavik Ortschaft soll sich ein Fluss aus Magma gebildet haben. Die glühende Masse könnte schliesslich über eruptive Spalten an die Erdoberfläche drängen. Es handele sich um «deutlich» mehr Magma als bei früheren Ausbrüchen des Fagradalsfjall-Vulkans, so die Behörden.
Starke Beben
Durch den Notstand wird der Zivilschutz in Alarmbereitschaft versetzt. Die isländische Wetterbehörde Vedurstofa berichtete am Abend davon, dass die Anzeichen, die man derzeit sehe, vergleichbar mit denjenigen am Vorabend der ersten Eruption am Vulkan Fagradalsfjall im Jahr 2021 seien und sehr stark der seismischen Aktivität einen Monat vor diesem Ausbruch ähnelten. Das wahrscheinlichste Szenario sei nun, dass es eher mehrere Tage statt Stunden dauern werde, bis das Magma die Erdoberfläche erreiche.
Der erneute Erdbebenschwarm auf der Reykjanes-Halbinsel südwestlich von Reykjavik hatte vor knapp zweieinhalb Wochen begonnen. Seitdem kam es zu Tausenden Beben, am Freitagnachmittag nahmen sie jedoch nochmals an Stärke und Häufigkeit zu. Nach Daten der Wetterbehörde hatten mehrere davon eine Stärke jenseits von 4,0 – eines sogar von etwa 5,2.
Touristenattraktion geschlossen
Auf der Halbinsel war es bereits 2021, 2022 sowie in diesem Sommer zu Vulkanausbrüchen gekommen. Sie hatten sich jeweils mit längeren Erdbebenserien angekündigt. Eine Gefahr für die Bevölkerung bestand bei allen drei Eruptionen nicht.
Diesmal wurde jedoch mit Sorge auf das Geothermiekraftwerk Svartsengi in der Region geblickt. Das direkt daneben liegende Geothermalbad Blaue Lagune, eine der grössten Touristenattraktionen Islands, wurde aufgrund der Erdbebenserie vorübergehend geschlossen. Für Grindavik wenige Kilometer weiter südlich wurde ein Evakuierungsplan ausgearbeitet. Ein Modell der Behörden deutete am Freitag jedoch nicht darauf hin, dass Lava im Falle einer Eruption Richtung Grindavik fliessen würde.
Riesige Luftraum-Schliessung 2010
Seit 2021 gab es drei Vulkanausbrüche auf der Reykjanes-Halbinsel – im März 2021, im August 2022 und im vergangenen Juli. Diese Ausbrüche ereigneten sich jedoch fern von bewohnten Gebieten oder wichtiger Infrastruktur. Island ist die grösste und aktivste Vulkanregion Europas.
Als Reaktion auf Bedenken, dass Asche von einem Vulkanausbruch auf Island Flugzeugtriebwerke beschädigen könnte, war im Jahr 2010 der kontrollierte Luftraum vieler europäischer Länder gesperrt worden. Es war die grösste Schliessung des Luftverkehrs seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Flugsperre löste ein Reisechaos aus, das sich um den gesamten Erdball erstreckte.