Im Stadtsaal Wil dürfte kommenden Montag einiges anders ablaufen als üblich, denn Ahmad Mansour (42) ist zu Gast. Wenn der Psychologe und Islamismusexperte in Deutschland auftritt, sind Personenschützer nicht weit. Dann werden Taschen durchsucht, die Besucher genau gemustert. Der Mann, der Deutsche genauso provoziert wie Migranten, sucht in der Schweiz diese Woche die öffentliche Diskussion.
Die Linke diffamiert Sie, die AfD beschimpft Sie, Islamisten bedrohen Sie. Ahmad Mansour (42), irgendwas müssen Sie richtig gemacht haben.
Ahmad Mansour: Das tönt lustig, aber im Alltag ist das natürlich eine Belastung, wenn man von allen Seiten fertiggemacht wird, wenn die Familie bedroht wird. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, standhaft zu bleiben. Das Ganze zeigt vielmehr, wie die Integrationsdebatte in Europa gerade geführt wird. Wie emotional und beladen sie geworden ist.
Warum?
Die Linken betrachten sich beim Thema als moralisch überlegen und alle anderen, die nicht widerspruchslos ihre Ideologie übernehmen, liegen nicht nur falsch, sondern haben auch kein Recht auf eine eigene Meinung. Dann gilt man als rechts, oder es wird einem vorgeworfen, man bediene die AfD. Die Rechten hingegen erleben das Thema als schicksalhaft. Man könne Islam und Migration nicht gut finden. Wer differenziert, gilt als Volksverräter. Wenn beide Seiten aufeinander treffen, wundert man sich nicht, dass es so emotional wird.
Sie kritisieren diese Polarisierung der deutschen Gesellschaft, gleichzeitig reduzieren Sie die Debatte um Integration auf «Panikmacher» und «Übertolerante». Sie polarisieren selber genauso.
Nein. Ich bin weit weg von diesen beiden Polen. Ich will eine Debatte in der Mitte der Gesellschaft. Ich will, dass die Mitte wieder aktiv wird.
Was müsste sie denn tun?
Von den Menschen erwarte ich, dass sie den Kontakt zu den Migranten suchen, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, und ihre Werte selbstbewusst kommunizieren. Von der Mitte-Politik erwarte ich, dass sie die Themen für sich beansprucht, Lösungen für Integration und gegen Islamismus anbietet, damit eben die radikalen Parteien nicht profitieren.
Viele Probleme des Landes werden doch einfach auf Minderheiten projiziert.
Natürlich kann man die Migranten nicht für alles Mögliche verantwortlich machen, ich bin ja selber Migrant. Aber umgekehrt zu sagen, dieses und jenes Problem hat mit Migranten nichts zu tun, ist genauso falsch. Deshalb müssen wir schauen, wo die Probleme liegen.
Werden die Probleme denn nun tabuisiert oder hochgekocht? Beides ist zu hören.
Weil beides stattfindet. Die Rechten wollen damit Angst verbreiten, die Linken sind nicht bereit, das Thema überhaupt anzusprechen.
Schweizer distanzieren sich anders als die Deutschen nicht dauernd von Ihrer Vergangenheit. Das permanente Schuldgefühl geht uns ab. Hilft das bei der Integration?
Absolut. Das Ausländerthema ist hier viel weniger tabuisiert. Die Deutschen wollen sich immer von der Grosseltern-Generation abgrenzen. Die Lehre aus der Vergangenheit kann nicht sein, dass wir im Namen der Toleranz Intoleranz akzeptieren. Der Unterschied zwischen den beiden Ländern ist, dass in der Schweiz eine selbstbewusste Sprache in Politik und Gesellschaft gesprochen wird. In Deutschland herrscht eine unfassbare Verunsicherung.
In Genf hat das Volk ein Kopftuchverbot für kantonale Beamte angenommen. Sie sind strikt für eine Trennung von Religion und Staat. Ein Freudentag also?
Ja, das finde ich. Menschen, die den Staat repräsentieren, dürfen keine sichtbaren religiösen Symbole tragen, nicht nur das Kopftuch, bitte auch keine sichtbaren Kreuze um den Hals.
Eine weitere Meldung aus den Kantonen: Sprechen Kindergärtler schlecht Deutsch, sollen Eltern für die Schule zahlen, so die Pläne im Thurgau. Ist bestrafen statt belohnen richtig?
Was tut man dann mit Eltern, die das Geld nicht bezahlen wollen? Wer leidet darunter? Natürlich die Kinder. In manchen deutschen Schulen sprechen 80 Prozent der Erstklässler gar kein Deutsch, das sind katastrophale Zustände. Darum brauchen wir Kindergartenpflicht ab zwei oder drei Jahren, damit die Kleinen früh genug die Sprache lernen.
Der SonntagsBlick deckte auf, dass an Schweizer Schulen im «Heimatunterricht» Kinder von türkischen Einwanderern altosmanische Schlachten nachspielen. Ein Fall von gescheiterter Integration?
Völlig gescheitert. Ich frage mich, wieso es so einen Heimatkundeunterricht für türkischstämmige Kinder überhaupt braucht. Warum ist das erlaubt? Wir reden von Kindern der zweiten oder dritten Generation, die in der Schweiz sozialisiert wurden. Und dann wird ermöglicht, dass Erdogan und seine undemokratischen Kräfte Einfluss auf sie nehmen. Das ist skandalös und muss abgeschafft werden. Heimatkunde bedeutet, über die Schweiz etwas zu lernen, nicht über das Osmanische Reich.
No-go-Areas wie teils in Deutschland gibt es hierzulande nicht. Wo sehen Sie dennoch Gefahren mangelnder Integration?
Man darf nicht warten, bis solche No-go-Areas entstehen. Dann wäre es viel zu spät. Parallelgesellschaften sind Orte, an denen andere Werte herrschen. Auch in Bern sah ich kleine Mädchen, Sieben- oder Achtjährige, die mit Kopftuch auf der Strasse unterwegs sind. Da kann ich nicht von gelungener Integration reden. Das ist eine Parallelgesellschaft, die wir in Europa nicht akzeptieren dürfen. Wie auch Moscheen, in denen Hass geschürt wird. Das existiert auch in der Schweiz.
In der Schweiz leben viele Vertreter des gemässigten Balkan-Islams. Gut für uns?
Der arabische Islam ist sicher viel schwieriger zu integrieren. Aber die Radikalen haben es geschafft, eine Alternative zu dieser Herkunftsreligion wie dem Balkan-Islam anzubieten. Dann ist egal, woher man kommt, woher die Eltern stammen, dann geht es um Jugendsprache, um eine neue Identität fernab des Elternhauses.
Sie sind diese Woche in der Schweiz. In Wil SG treffen Sie den Imam der albanischen Moschee. Über sein Einbürgerungsgesuch diskutierte die ganze Gemeinde, es kam zu Verleumdungen, er selber bezeichnete das Prozedere als demütigend. Wenn sich im Einzelfall jeder über Integration einmischt, herrscht am Ende Willkür.
Genau darum komme ich vorbei, weil ich mir ein Bild vom Fall machen will. Und genau das sollte in dieser Debatte jeder Einzelne tun. Der Staat hat absolut das Recht, Menschen vor der Einbürgerung zu prüfen. Allgemein gesehen finde ich es problematisch, wenn Menschen nach aussen andere Werte vertreten als in ihrer Community. Und natürlich muss man das prüfen. Damit meine ich jetzt nicht den Wiler Fall.
Sie haben den kritischen Blick eines Migranten: auf die Deutschen und auf die Migranten. Aber von wem werden Sie vereinnahmt?
Die Frage beschäftigt mich sehr intensiv. Weil mir wird vorgeworfen, ich würde die AfD bedienen. Ich hatte deswegen viele schlaflose Nächte. Aber ich bin ein mündiger Mensch und werde meine Sicht, meine Meinungen nicht ändern, weil bestimmte linke oder rechte Doofköpfe meine ersten paar Sätze als Bestätigung auffassen.
Ahmad Mansour (43) ist arabischer Israeli, lebt seit 2004 in Berlin und ist seit 2017 Deutscher. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus und Antisemitismus. 2015 erschien sein Bestseller «Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen», 2018 folgte «Klartext zur Integration – Gegen falsche Toleranz und Panikmache». Beim Thema Salafismus und Antisemitismus tritt er oft als Experte in Talkshows und Presse auf. Mansour ist verheiratet und hat eine Tochter.
Ahmad Mansour (43) ist arabischer Israeli, lebt seit 2004 in Berlin und ist seit 2017 Deutscher. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus und Antisemitismus. 2015 erschien sein Bestseller «Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen», 2018 folgte «Klartext zur Integration – Gegen falsche Toleranz und Panikmache». Beim Thema Salafismus und Antisemitismus tritt er oft als Experte in Talkshows und Presse auf. Mansour ist verheiratet und hat eine Tochter.