30 Jahre Mauerfall
Er wäre heute wohl ein hohes Tier im Staatsapparat

Matthias Estermann (48) war auf dem Weg, in der diktatorischen Staatspartei der DDR Karriere zu machen. Bis die Mauer fiel.
Publiziert: 02.11.2019 um 13:12 Uhr
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Matthias Estermann (48) wuchs in der DDR in Sichtweite der Grenze auf.
Foto: Philippe Rossier
Rebecca Wyss

Gäbe es die DDR-Diktatur heute noch, würde Matthias Estermann wohl für die herrschende Staatspartei, die SED, arbeiten. Wahrscheinlich wäre er ein hohes Tier. Er war auf dem besten Weg dazu. Bis die Mauer Risse bekam.

Heute lebt der 48-Jährige in Rotkreuz ZG. Der Integrationsberater hilft Deutschen in der Schweiz, Anschluss zu finden. Gerade hat er in seiner «Ostalgie-Kiste» gekramt. Gefunden hat er unter anderem sein blaues Mitgliedsbüchlein der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der DDR-Jugendorganisation.

Im Herbst 1989 finden die sogenannten Montagsdemonstrationen statt: In den Städten protestieren DDR-Bürger gegen das System. Estermann heisst damals noch Gross und sieht die Masse von weitem vorbeiziehen. Er studiert an einer Hochschule die Schriften von Marx und Lenin – so werden angehende Staatsangestellte fit gemacht.

«All das Schlechte der DDR kenne ich nur aus dem Fernsehen», sagt er heute. Er wächst behütet in einem Dorf in Sachsen-Anhalt auf. Die Grenzlinie in Sichtweite. Nie hat er sie übertreten. Immer schwamm er mit dem Strom. «Wo ich herkomme, machten das alle Kinder», sagt er. Als junger Sportschütze holt er Medaille um Medaille – und wird dafür von der Nationalen Volksarmee, der DDR-Armee, gefeiert.

Und dann ist all das vorbei. Schon einen Tag nach dem Mauerfall schliesst die Marxisten-Hochschule. Der gelernte Büromaschinenmechaniker muss bei null anfangen. Und tut dies im Westen. Zuerst in Hamburg, dann in der Schweiz. Durch die Brüche habe er gelernt: «Egal, was passiert: Ich komme immer wieder auf die Beine.»

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