Einen Monat vor der Parlamentswahl in der Türkei hat die Polizei die zentrale 1.-Mai-Demonstration regierungskritischer Gewerkschaften in Istanbul gewaltsam aufgelöst. Die Sicherheitskräfte setzten in der Innenstadt Wasserwerfer und Tränengas ein.
Aus den Reihen der Demonstranten wurden die Polizisten im Stadtteil Besiktas daraufhin mit Steinen beworfen. Zuvor war die Veranstaltung mit rund 1500 Teilnehmern stundenlang friedlich verlaufen. Die Organisatoren hatten erfolglos mit der Polizei darüber verhandelt, zum abgeriegelten Taksim-Platz marschieren zu dürfen.
Der Sender CNN Türk berichtete unter Berufung auf die Behörden, 21'000 Polizisten seien am Maifeiertag in Istanbul im Einsatz gewesen. 136 Menschen seien festgenommen worden.
Der U-Bahn-Verkehr wurde unterbrochen, selbst Bosporus-Fähren wurden ausgesetzt, damit keine Demonstranten aus dem asiatischen Teil der Stadt gelangen konnten.
Mit Steinschleudern gegen Beamte
Auch ausserhalb des Statteils Besiktas kam es zu Zusammenstössen. Auf Fotos der Nachrichtenagentur epa waren Randalierer zu sehen, die Steinschleudern und Molotowcocktails gegen die Polizei einsetzten. Sie errichteten Barrikaden und steckten sie in Brand.
Regierungskritische Gruppen und Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen, am 1. Mai auf den symbolträchtigen Taksim-Platz vorzudringen. Seit den Gezi-Protesten im Sommer 2013 hat die Polizei dort keine regierungskritischen Demonstrationen mehr zugelassen. In der Türkei wird am 7. Juni ein neues Parlament gewählt.
Ein Demonstrant sagte: «Es ist sehr schlecht, dass sie den Taksim abriegeln. Sie riegeln unsere Freiheit ab.» Demonstranten skandierten Slogans, in denen sie Präsident Recep Tayyip Erdogan einen «Mörder» und «Dieb» nannten. Erdogan hatte Gegner seines Kurses als «Gesindel» und «Terroristen» beschimpft.
Gewalttätern drohen bis 4 Jahre Haft
Erdogan verteidigte die Sperrung des Taksim-Platzes und verwies darauf, dass die Regierung andere Orte für Demonstrationen angeboten habe. Den Demonstranten, die zum Taksim wollten, warf er vor, in Wirklichkeit «Chaos verursachen» zu wollen. Die Polizei hatte den Taksim-Platz mit Metallgittern abgeriegelt. Medienberichten zufolge waren allein am Platz 10'000 Polizisten eingesetzt.
Trotz des Polizeiaufgebots gelang es einer kleinen Gruppe Kommunisten, auf den Platz vorzudringen. Die Zeitung «Hürriyet» berichtete, sie hätten sich in einem nahen Hotel versteckt gehabt. Die Polizei vertrieb sie mit Schlagstöcken, mehrere Menschen wurden festgenommen.
Die 1.-Mai-Demonstrationen waren die ersten, seit im vergangenen Monat neue Sicherheitsgesetze in der Türkei in Kraft traten. Sie sehen unter anderem ein Vermummungsverbot bei Kundgebungen vor. Verstösse sollen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, wenn bei der Demonstration für Terrororganisationen geworben wird. Wer Molotow-Cocktails, Steinschleudern oder Feuerwerkskörper bei sich hat, kann mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden. (SDA)