20 Tote – 53 Stunden Angst
Das Protokoll des Terrors

53 Stunden Terror. 53 Stunden Angst. 53 Stunden jagte die Polizei die beiden Terroristen Saïd (†34) und Chérif Kouachi (†32). Gestern Abend kurz nach 17 Uhr kam es zum Showdown. Die Terror-Brüder sind tot. Langsam kommt Licht ins Dunkel, immer mehr Fakten und Details werden bekannt. Lesen Sie hier das Protokoll des Terrors.
Publiziert: 10.01.2015 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:34 Uhr
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In diesem schwarzen Citroën flüchten die Terroristen.
Von Kathia Baltisberger

Mittwoch, 7. Januar 2015

  • Es ist 11.30 Uhr: An der Rue Nicolas Appert im 11. Arrondissement von Paris hält die Redaktion des Satire-Magazins «Charlie Hebdo» die wöchentliche Konferenz ab. Zwei vermummte und schwer bewaffnete Männer betreten das Gebäude. Im Foyer erschiessen sie einen Mitarbeiter einer Reinigungsfirma, dann dringen sie in die Redaktion ein. Dort erschiessen sie acht Redaktionsmitglieder, einen Gast und einen Polizisten, der für den Schutz des Zeitungschefs Stéphane Charbonnier, genannt Charb, zuständig war.
  • Die Attentäter verlassen das Gebäude und steigen in ihr Fluchtauto – einen schwarzen Citroën. Dann liefern sie sich einen Schusswechsel mit der Polizei. Sie steigen aus dem Auto und gehen auf einen verletzten Polizisten zu, der bereits am Boden liegt. Kaltblütig schiesst einer von ihnen dem wehrlosen Mann in den Kopf. Dann setzen sie ihre Flucht fort. Nachdem sie mit einem Volkswagen zusammengestossen sind, lassen sie den Citroën zurück und überfallen an der Porte de Pantin einen Autofahrer. Sie zwingen den Mann auszusteigen und fahren mit seinem grauen Renault Clio davon. Dann verliert sich die Spur der beiden Attentäter.
  • Um 12.45 Uhr wird in Paris die höchste Terror-Warnstufe ausgerufen. Am Nachmittag sind rund 3000 Beamte im Einsatz. Auch die Anti-Terror-Einheit Raid ist vor Ort.
  • Die Polizei durchsucht den Citroën und findet darin den Ausweis eines der beiden Terroristen. Später gibt sie bekannt, dass auch Molotow-Cocktails und islamistische Flaggen im Auto waren. Die Polizei hat die Terroristen mittlerweile identifiziert und gibt einen Fahndungsbefehl raus. Gesucht werden drei Männer: Saïd Kouachi (34), Chérif Kouachi (32) und Hamid M. (18). Die beiden älteren Männer sind in Paris geborene Brüder, der Teenager ist der Schwager von Chérif Kouachi und hat keinen festen Wohnsitz.
  • Um 23 Uhr stellt sich der 18-Jährige der Polizei in der Kleinstadt Charleville-Mézière nahe der belgischen Grenze. Er beteuert seine Unschuld. Zeugen sagen aus, dass er zur Tatzeit in der Schule war. Drei Tage später setzt ihn die Polizei wieder auf freien Fuss.
  • Noch am selben Abend durchsucht die Polizei ein Gebäude in Reims. Hier hat einer der beiden Terror-Brüder gewohnt. Es kommt auch zu Verhaftungen im Umfeld der Terroristen – neun Personen werden insgesamt verhört.

Donnerstag, 8. Januar 2015

  • 8.20 Uhr im Süden von Paris: Im Vorort Montrouge schiesst ein Mann auf Polizisten. Eine Beamtin stirbt später an ihren Verletzungen. Zunächst ist unklar, ob es einen Zusammenhang zum Massaker in der Redaktion von «Charlie Hebdo» gibt. Am Morgen kommt es auch zu mehreren Anschlägen auf islamische Einrichtungen.
  • Um 10.30 Uhr erscheinen die Terror-Brüder wieder auf der Bildfläche: Sie überfallen eine Avia-Tankstelle auf der RN2 bei Villers-Cotterêts, 80 Kilometer nördlich von Paris. Sie klauen Nahrungsmittel und Benzin. Der Tankwart habe die beiden «eindeutig erkannt» und alarmiert die Polizei.
  • Die Terror-Warnung gilt nun auch für die Region l'Aisne und Picardie. Mittlerweile sind 88'000 Beamte in ganz Frankreich im Einsatz. Die Polizei sperrt Strassen ab, im Dorf Longpont durchsuchen sie jedes Haus. Es wird spekuliert, dass sich die Terror-Brüder im Wald versteckt haben. Doch in der Dunkelheit verläuft die Suche ohne Erfolg.

Freitag, 9. Januar 2015

  • Kurz nach Mitternacht teilen die USA mit, dass die Kouachi-Brüder auf der «No-fly»-Liste stünden und Terrorverdächtig seien. Und zwar «seit Jahren». Saïd habe auch einige Monate im Jemen verbracht, wo er von Al Kaida ausgebildet wurde.
  • Am Morgen gegen 8 Uhr wird einer Frau ein grauer Peugeot 206 gestohlen. Schnell stellt sich heraus: Es sind die Kouachi-Brüder. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd auf der RN2. Polizei und Terroristen liefern sich einen Schusswechsel. Offenbar wird Saïd dabei am Hals verletzt. Danach verschanzen sie sich in einer Druckerei in Dammartin-en-Goële. Zunächst heisst es, sie hätten eine Geisel in ihrer Gewalt. Sie lassen den Druckerei-Chef aber wenig später gehen. Laut dem Pariser Staatsanwalt François Molins kann sich eine weitere Person im Gebäude in der Kantine verstecken und wird von den Kouachi-Brüdern gar nicht bemerkt. Er kann der Polizei per SMS genaue Informationen liefern. Die Sonderkommandos belagern die Druckerei, dann bleibt es lange ruhig.
  • Am Mittwoch wird bekannt, dass es eine Verbindung zwischen dem Massaker bei «Charlie Hebdo» und der Schiesserein in Montrouge gibt. Offenbar kannten sich der Montrouge-Schütze und die Terror-Brüder.
  • Um 12.30 nimmt ein Mann in einem Koscher-Supermarkt in Porte de Vincennes mehrere Geiseln. Er ist schwer bewaffnet. Die Polizei kann den Mann als Amedy Coulibaly (32) identifizieren. Es handelt sich um den selben Mann, der in Montrouge die Polizistin erschossen hat. Coulibalys Forderung: Die Polizei soll die Kouachi-Brüder aus der Druckerei ziehen lassen, sonst bringt er die Geiseln um.
  • Um 17.05 stürmen Saïd und Chérif Kouachi aus der Druckerei und schiessen auf die Beamten. Die Einsatzkräfte erschiessen die Terroristen.
  • Wegen der Geschehnisse in Dammartin stürmt die Polizei in Paris den Supermarkt. Das Sonderkommando schaltet Coulibaly aus. Beim Einsatz in Vincennes kommen vier Menschen ums Leben. Laut Staatsanwalt Molins waren die vier schon vor dem Zugriff tot.
  • Die Polizei fahndet derweil nach Komplizen und Hintermännern. Die meistgesuchte Frau Frankreichs ist Hayat Boumeddiene (26). Ob sie an der Geiselnahme in Vincennes beteiligt war, ist unklar. Sicher ist, dass sie Coulibalys Komplizin beim Polizistinnen-Mord in Montrouge war. Sie soll die Ehefrau des getöteten Coulibaly sein. Ebenfalls ist sicher, dass sich die Terror-Braut auf der Flucht befindet. Das bestätigte Molins gestern um 23 Uhr.
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