Seit gestern Morgen bebt die Erde in Mittelitalien. Alle fünf Minuten. Drei Stösse von über 5 auf der Richterskala erschüttern die Abruzzen. Aber auch in Lazio, in Umbrien und in den Marken wackeln die Wände.
Nur fünf Monate nach der Katastrophe von Amatrice herrscht wieder grosse Not in Italien. Doch schlimmer als die Beben sind die Schneemassen.
Sie rutschen als Lawinen von den Hängen, begraben ganze Dörfer, schneiden sie von der Aussenwelt ab. Bei bis zu vier Metern Schnee geben sogar die schwersten Räumfahrzeuge auf. Es ist kein Durchkommen. 100’000 Menschen haben keinen Strom, warten verzweifelt auf Rettung.
Gigantische Schneemassen überrollten Hotel
Ein verzweifelter Hilferuf über Whatsapp erreicht die Bergwacht der Abruzzen. In Farindola am Fuss des Gran Sasso hat eine Lawine das Hotel Rigopiano überrollt. 22 Gäste und fünf Angestellte sind unter den Trümmern, darunter zwei Kinder.
Antonio Crocetta und sein Team machen sich in der Nacht mit Skiern auf den Weg. Sie kämpfen gegen Schneetreiben. Erst Stunden später, um vier Uhr morgens, erreichen sie den abgelegenen Unglücksort auf 1200 Metern Höhe. Dank der Schneefräsen der Feuerwehr. Was die Männer vorfinden, entsetzt selbst den abgebrühtesten Helfer.
«Hier hat es viele Tote», stammelt der Chef der Bergwacht ins Handy, als ein italienischer Journalist ihn telefonisch erreicht. Die Schneemassen seien gigantisch. Sie seien durch ein Waldstück gedonnert, hätten Bäume und Felsbrocken mitgerissen, Stallungen mit Vieh und Teile des Hotels zermalmt, so Crocetta.
Erste Tote aus den Trümmern gezogen
Zwei Hotelgäste konnten sich retten. Sie waren draussen, krochen in ein Auto, als die Lawine anrollte. Einer ist der Tourist Giampiero Parete. Er bricht zusammen, als Crocettas Team anrückt. «Meine Frau und meine Kinder Ludovica (6) und Filippo (8) sind noch unter den Trümmern. Ich habe alles verloren», klagt der gelernte Koch. Angst schwingt in seiner Stimme mit.
In den ersten Versuchen gelingt es der Bergwacht, die erste Tote aus den Hotel-Trümmern zu bergen. Weitere Opfer werden folgen.
Auch im Rest der Abruzzen ist die Situation kritisch. Die schweren Schneefälle lähmen weite Teile Mittelitaliens – und bringen den Tod. Bei Teramo in Castel Castagna stirbt ein Mann unter einem eingefallenen Stall. Der 83-Jährige wollte seine Tiere retten. In Ortolano, nahe L’Aquila, wird ein weiterer Mann unter einer Lawine vermisst.
«Die Situation ist apokalyptisch»
«Viele Gebiete sind noch isoliert. Wir kommen kaum zu ihnen durch», sagt Fabrizio Curcio, Chef des Zivilschutzes. «Wir brauchen dringend Schneefräsen. Mit Räumfahrzeugen kommen wir nicht weiter», fleht Sergio Pirozzi, der Bürgermeister des geschundenen Beben-Dorfes Amatrice. Der tapferer Kirchturm, der den schweren Erdstössen im August standhielt, ist nun auch zusammengebrochen.
Immer wieder dringen Hilferufe aus den abgeschnittenen Ortschaften durch. «Wir sind jetzt auf der Strasse, inmitten des Schnees. Wir können nicht einmal fliehen», berichtet Serena Testa aus Pizzoli in der Provinz von L’Aquila, «die Beben hören nicht auf. Man hört Menschen schreien.»
«Die Situation hier ist apokalyptisch», sagt Massimo Giorgi. Der Bürgermeister von Montereale bei L’Aquila traut sich nicht aus dem Haus. Ganz in der Nähe seiner Gemeinde war das Epizentrum des Bebens mit 5,3 auf der Richterskala. «Die Menschen sind in ihren Häusern gefangen. Er herrscht grosse Angst. Die Lage ist wirklich kritisch.»
Ein Hilferuf kommt auch aus dem Tessin. Luana Siva half schon im Spätsommer in Amatrice. Die Tessinerin steht in engem Kontakt mit den Rettungskräften vor Ort. «Sie brauchen Ambulanzen», sagt Luana zu «Ticinonline», «wenn wir in der Schweiz ausrangierte Fahrzeuge haben, bitte zur Verfügung stellen!»
Weiterer Schneefall erwartet
Meteorologen sagten für die vollkommen zugeschneite Erdbebenregion in den Abruzzen weiter Schneefall vorher. Erst am Freitag soll sich das Wetter langsam bessern. Der Einsatz an dem von einer Lawine verschütteten Hotel wird dadurch zusätzlich erschwert.
Die Polizei rief die Menschen auf, nur wenn «absolut notwendig», in die betroffenen Gebiete zu fahren. Zumindest am Wochenende würden die Erdbebengebiete eine «Atempause von den Niederschlägen» bekommen, so der Wetterdienst Meteo.it. (SDA/kra)