18 Stunden Verhandlung am Hamburger Flughafen – das Protokoll
Mit diesem Plan entführte der Geiselnehmer seine Tochter

Am Samstagabend fuhr ein bewaffneter Mann mit seiner Tochter auf die Rollbahn des Hamburger Flughafens. Dass der Geiselnehmer auf die Forderungen der Polizei einging und eine Tragödie verhindert werden konnte, lag an einem durchgetakteten Grosseinsatz.
Publiziert: 06.11.2023 um 14:38 Uhr
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Aktualisiert: 06.11.2023 um 17:43 Uhr
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Am Samstagabend fuhr ein bewaffneter Mann mit seiner Tochter auf das Rollfeld des Hamburger Flughafens.
Foto: keystone-sda.ch
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Jenny WagnerRedaktorin News

Es gleicht einem Wunder, dass niemand verletzt wurde: Wegen eines Sorgerechtsstreits entführte Salman E.* (35) am Samstag seine Tochter (4). In einem Auto fuhr er bewaffnet auf die Rollbahn des Hamburger Flughafens und verschanzte sich dort. 

Dass die Polizei den Geiselnehmer dazu bringen konnte, sich zu ergeben und das Kind freizulassen, geschah dank eines aufwendigen Grosseinsatzes mit Spezialisten. So gingen die Ermittler vor.

18 Stunden Verhandlungen

Mit einem gemieteten Audi durchbrach E. am Samstag gegen 20 Uhr die Schranke zum Rollfeld, zündete zwei Molotowcocktails und schoss mit einer Pistole in die Luft. Seine Tochter hatte er als Geisel bei sich im Wagen. Sofort wurde der Flugbetrieb eingestellt und das Flughafengelände evakuiert. Die Verhandlungsgruppe E hatte ab Samstagabend durchgehend Kontakt zum Geiselnehmer. Die Polizisten redeten die ganze Nacht mit dem Vater und versuchten, ihn dazu zu bewegen, das Kind gehen zu lassen und sich zu stellen.

Mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl erklärten die Einsatzkräfte, dass dies die einzige akzeptable Lösung für ihn und das Kind sei. Wie Polizeisprecherin Sandra Levgrün zu «Focus» sagt, sei die Taktik «mal mehr, mal weniger erfolgreich gewesen». E. soll immer wieder kurz davor gewesen sein, sich zu ergeben, und machte dann einen Rückzieher. Am Ende dauerte es 18 Stunden, bis der Vater das Kind gehen liess. 

920 Polizisten im Einsatz

Der Grosseinsatz der Polizei umfasste 920 Einsatzkräfte aus acht Bundesländern. Darunter ein Spezialeinsatzkommando (SEKs), Hundeführer mit Sprengstoff-Spürhunden, die Anti-Terror-Einheit BFE+, Polizei-Psychologen, mehrere Einsatzhundertschaften, speziell geschulte Verhandler sowie Scharfschützen. 

Während die Verhandlungsgruppe E mit dem Geiselnehmer sprach, durchsuchten Polizisten die Wohnung von E. im niedersächsischen Buxtehude. Am Sonntagmittag überprüften die Ermittler über eine Drehleiter der Feuerwehr und mit Spürhunden, ob sich Sprengsätze in der Wohnung befinden. Dann wurden Spuren gesichert. 

Um 15.10 Uhr gab E. auf

Am Sonntag um 15.10 willigte E. ein, sich festnehmen zu lassen. E. durfte seine Tochter umarmen, bevor zwei Sicherheitskräfte das Kind Richtung Gebäude begleiteten. Währenddessen legte sich der Vater barfuss auf den Boden. Die Polizisten nahmen E. erst fest, als seine Tochter ausser Sichtweite war. Im Flughafen wartete die Mutter bereits, um das Kind in die Arme zu schliessen.

Die Polizei spricht im Bericht von einer «psychischen Ausnahmesituation», in welcher sich der Geiselnehmer durch den Sorgerechtsstreit befand. E. hatte sich einen Plan für sich und seine Tochter zurechtgelegt. «Die Mutter des Mädchens hatte wohl im Internet eine Annonce veröffentlicht, um etwas zu verkaufen. Daraufhin meldete sich nach meinen Informationen der Ex-Mann unter falschem Namen und verschaffte sich so Zutritt zur Wohnung», so ein Bekannter der Frau zu «Bild».

Ex-Frau zeigte Geiselnehmer dreimal an

Der bewaffnete E. packte das Kind in der Wohnung in Stade (D) und soll im Mehrfamilienhaus einen Schuss abgegeben haben. Nachdem er den Sicherheitszaun am Flughafen durchbrochen hatte, wollte er mit der Tochter in die Türkei fliegen. Im März 2022 war E. schon einmal mit dem Kind in die Türkei gereist. Die Mutter konnte die Tochter aber zurückholen, gegen E. wurde deshalb ermittelt. Wie der «Spiegel» aus Sicherheitskreisen erfahren haben soll, erstattete die Ex-Frau bereits dreimal Strafanzeige gegen den Mann. Im März 2022 zweimal wegen Kindesentziehung, im März dieses Jahres wegen Hausfriedensbruch. 

Mittlerweile befindet sich der Geiselnehmer auf der Wache. Der Staatsschutz der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg übernimmt die weiteren Ermittlungen. Das Kind und die Mutter befinden sich für weitere Abklärungen im Spital.

37'000 Passagiere betroffen

Am Sonntagnachmittag, 20 Stunden nachdem E. auf das Rollfeld gefahren war, nahm der Hamburger Flughafen den Flugbetrieb wieder auf. Mehr als 37'000 Passagiere waren betroffen und mussten in einem Hotel in der Nähe des Flughafens untergebracht werden. Am Montag arbeitete der Flughafen im Normalbetrieb. 

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