Dieses Mädchen lässt sich nicht so schnell unterkriegen! In nur sieben Tagen und bei Temperaturen von 40 Grad legte Jyoti Kumari Paswan (15) aus Indien 1200 Kilometer zurück. Auf dem Gepäckträger hatte sie ihren verletzten Vater und dessen Tasche dabei. Und das auf einem Velo, das sie umgerechnet für 20 Schweizer Franken gebraucht gekauft hatte, wie die «New York Times» berichtet.
Verspottet, weil sie ein Mädchen ist
Ihr Vater, der als Rikschafahrer arbeitet ist, wurde zuvor bei einem Autounfall verletzt. Seine Tochter fuhr ihn daraufhin von Gurugram, einem Vorort Neu Delhis, in Richtung Osten nach Sirhulli, wo die Familie lebt. Nur sie kann sich um den Verletzten kümmern.
Das Geld war schon davor knapp. Unterwegs hätten die beiden deshalb wenig Essen gehabt. Bis zu 160 Kilometer legten sie täglich zurück.Während der Fahrt wurde das Mädchen auch noch verspottet, weil sie in die Pedalentrat.
Karriere als Profi-Radsportlerin?
Den indischen Radsportverband dagegen konnte die junge Inderin beeindrucken. «Sie hat etwas in sich», sagte Verbandspräsident Onkar Singh zur Nachrichtenagentur AFP und lud sie ein, um sich im Nationalteam zu beweisen.
Singh versprach Kumari ein Probetraining in Neu-Delhi, die Anreise würde der Verband organisieren. «Wir haben ihr gesagt, dass wir uns an unseren Akademien auch um die Schulbildung kümmern», sagte Singh. Jyoti Kumari wies selbst darauf hin, dass sie unbedingt ihre Schulausbildung fortsetzen wolle, die sie vor einem Jahr wegen des fehlenden Gelds abbrechen musste.
Die grösste Menschenbewegung seit 70 Jahren
Jyoti Kumaris Geschichte verdeutlicht die prekäre Situation von Millionen Wanderarbeiter in Indien. Rikschafahrer, Teeverkäufer und Bauarbeiter: Sie alle leben derzeit am Existenzminimum, da sie wegen der Corona-Massnahmen keine Arbeit mehr haben. Viele kehrten deshalb aus den grossen Städten in ihre Dörfer zurück – oft mittellos und ausgelaugt.
Schätzungen indischer Forscher zufolge, seien derzeit bis zu zehn Millionen Menschen unterwegs. Damit handle es sich um die grösste Menschenbewegung auf dem Subkontinent seit der Trennung von Pakistan und Indien im Jahr 1947.
Jyoti Kumaris Vater wurde nach seiner Ankunft in Sirhulli auf eine Quarantänestation gebracht. Sie selbst durfte sich zu Hause isolieren. Dort erholt sie sich von der langen Reise. (dzc)