Massenproteste in Algerien
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Präsident in Genfer Spital:Massenproteste in Algerien

10 Fragen zu den Unruhen in Nordafrika
Welche Auswirkungen hat der Algerien-Konflikt auf Europa?

Millionen von Algeriern haben erfolgreich den Rücktritt des «ewigen Präsidenten» Abdelaziz Bouteflika erzwungen. Die Unruhen scheinen aber noch lange nicht zu Ende zu sein. BLICK beantwortet die zehn wichtigsten Fragen zum gefährlichen Konflikt.
Publiziert: 03.04.2019 um 17:51 Uhr
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Aktualisiert: 04.04.2019 um 09:46 Uhr
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Für einmal hatten die Algerier etwas zu feiern: Am 1. April gab Präsident Bouteflika seinen sofortigen Rücktritt bekannt.
Foto: AFP
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Guido FelderAusland-Redaktor

Im Norden Afrikas brodelts: In Algerien sind in den vergangenen Wochen Millionen von Menschen auf die Strasse gegangen, um gegen ihren «ewigen Präsidenten», den 82-jährigen Abdelaziz Bouteflika, zu demonstrieren. Der schwer angeschlagene Mann im Rollstuhl hatte angekündigt, für eine weitere, fünfte Amtszeit zu kandidieren. Wegen des enormen Druckes hatte er dann zuerst den Rücktritt auf den 28. April versprochen und schliesslich am 1. April mitgeteilt, dass er ab sofort sein Amt zur Verfügung stelle.

Warum protestieren so viele Algerier gegen den Präsidenten?

Bouteflika regierte 20 Jahre in autoritärem Stil. Seit einem Schlaganfall im Jahr 2013 hatte er sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Kritiker gehen davon aus, dass der gebrechliche Greis gar nicht mehr regierungsfähig ist, sondern die Regierung von einem korrupten Netzwerk von Geschäftsleuten sowie von Generälen der Armee und der Polizei gesteuert wird.

Wie steht Algerien wirtschaftlich da?

Algerien profitierte wirtschaftlich jahrelang vor allem vom Gas- und Öl-Export. Allerdings floss nur ein Teil des Erlöses in die staatliche Infrastruktur, der andere Teil versandete in der Korruption. Wegen der Talfahrt der Preise schlitterte das Land in eine Krise, der Staatshaushalt ist auf etwa die Hälfte eingebrochen.

Was hat Bouteflika für sein Land geleistet?

Bouteflika gilt bei vielen Algeriern als der Mann, dem sie das Ende der «nationalen Tragödie» verdanken, bei der sich Sicherheitskräfte und islamistische Gruppen bekämpften. Dabei wurden zwischen 1992 und 2002 etwa 200’000 Menschen getötet. Unter Bouteflikas Herrschaft wurden Amnestiegesetze für aufständische Islamisten beschlossen, die der Gewalt abschworen.

Welches sind Bouteflikas Verbindungen zur Schweiz?

Weil er 1978 seinen Ziehvater, Houari Boumedienne (1932–1978), als Staatspräsident nicht beerben konnte, gab er alle politischen Funktionen auf und ging von 1981 bis 1987 ins Exil nach Genf. Erst 1999 kehrte er nach Algerien zurück. Anfang dieses Jahres war er wieder in Genf, um sich medizinisch behandeln zu lassen.

Wie sieht Bouteflikas politische Karriere aus?

Als Algerien 1962 von Frankreich die Unabhängigkeit erlangte, wurde Bouteflika mit nur 25 Jahren Minister für Sport und Tourismus, ein Jahr später Aussenminister. Nach seinem Exil wurde er 1999 als Wunschkandidat des Militärs zum Präsidenten gewählt. Mit einer umstrittenen Verfassungsänderung sorgte er dafür, dass er 2009 weiter regieren konnte. Vom sogenannten «Arabischen Frühling» 2011 blieb er unbehelligt.

Wer folgt auf Bouteflika?

Laut algerischer Verfassung übernimmt im Fall des Rücktritts des Staatsoberhauptes der Präsident des Oberhauses das Amt. Derzeit ist das Abdelkader Bensalah (76), ein alter Weggefährte Bouteflikas. Binnen 90 Tagen muss ein neuer Präsident gewählt werden. Said Bouteflika, der 20 Jahre jüngere Bruder des Präsidenten, wurde oft als Nachfolger gehandelt, ist aber offenbar ebenfalls schwer krank. Die Oppositionsparteien konnten sich bisher auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen. Eine Machtübernahme durch das Militär halten Beobachter nicht für sehr wahrscheinlich. 

Was sagt Bouteflika?

Bouteflika selbst bat die Algerier in einem Brief um Vergebung. «Ich bin ein Mensch, der nicht frei von Fehlern ist, und bitte euch um Verzeihung (...) für die Versäumnisse euch gegenüber in Wort oder Tat», heisst es in dem Schreiben. Er sei stets bestrebt gewesen, allen Algeriern ausnahmslos zu dienen. Trotz der schwierigen Umstände sei er voller Hoffnung, dass das Land weiter Richtung Fortschritt und Wohlstand marschiere.

Wie reagiert die Welt?

In internationalen Reaktionen wurde vor allem die Eigenständigkeit Algeriens in der kommenden Phase hervorgehoben. «Über Fragen, wie dieser Übergang in Algerien gesteuert wird, muss jetzt das algerische Volk entscheiden», sagte etwa ein Sprecher des US-Aussenministeriums. Auch Russland, langjähriger Verbündeter Algeriens, mahnte internationale Zurückhaltung an. Frankreichs Aussenminister Jean-Yves Le Drian erklärte, er glaube an die Fähigkeit Algeriens, den «demokratischen Übergang» mit der gleichen «Ruhe und Verantwortung» wie in den vergangenen Wochen zu gestalten.

Kehrt jetzt Ruhe ein?

In Algerien haben die Menschen den Rücktritt des langjährigen Präsidenten gefeiert. Eine jubelnde, Fahnen schwenkende Menge versammelte sich nach Bekanntwerden von Bouteflikas Abdankung, begleitet von einem lauten Hupkonzert im Zentrum der Hauptstadt Algier. Viele Algerier kündigten an, weiter für Veränderungen im Land zu demonstrieren. Der Ausgang des Konflikts ist völlig offen.

Welche Auswirkungen könnte der Konflikt auf Europa haben?

Die EU bezieht über zwölf Prozent der Gas-Importe aus Algerien. Die Lieferungen könnten gefährdet sein. Zudem könnte es durch das Ausbrechen eines offenen Konflikts zu einem Bürgerkrieg und einer Migrationswelle kommen.

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